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Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall

Titel: Inspector Alan Banks 13 Ein seltener Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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nebenbei.
      Dabei war die Wohnung durchaus gemütlich. Sie lag in einem modernen dreistöckigen Gebäude, das zum Rivergate Centre gehörte, ging nach Süden auf den Fluss und war sehr hell - gut für die Topfpflanzen, die Michelle auf ihrem kleinen Balkon zog. Das Stadtzentrum war so nah, dass sie praktisch im Schatten der Kathedrale wohnte. Michelle wusste nicht, warum sie es sich nicht gemütlicher gemacht hatte; immerhin war es eines der schönsten Apartments, in dem sie je gewohnt hatte, wenn auch nicht ganz billig. Aber wofür sollte sie ihr Geld schon ausgeben? Besonders gerne saß sie im Dunkeln draußen auf dem Balkon, betrachtete die Lichter im gemächlich dahinfließenden Fluss und lauschte den vorbeifahrenden Zügen. Am Wochenende klang die Blues-Musik aus der Charters Bar zu ihr hinauf, einem alten Kahn gegenüber an der Town Bridge. Manchmal waren die Gäste zur Sperrstunde hin etwas lauter, aber das störte Michelle nicht besonders.
      Sie hatte keine Freunde, die sie zum Abendessen hätte einladen können, und auch wenig Zeit oder Lust dazu. Deshalb hatte sie sich gar nicht die Mühe gemacht, das gute Porzellan auszupacken. Selbst das unvermeidliche Waschen, Staubwischen und Bügeln hatte sie vernachlässigt. Dementsprechend sah ihre Wohnung aus. Nicht einmal das Bett war gemacht.
      Michelle warf einen kurzen Blick auf den Anrufbeantworter, aber die Lampe blinkte nicht. Tat sie nie. Warum schaltete sie das Ding überhaupt ein? Wegen der Arbeit natürlich. Nachdem sie das Geschirr in der Küche gespült und kurz den Staubsauger angestellt hatte, war Michelle bereit, Die Krays zu sehen. Aber sie hatte Hunger. Der Kühlschrank war leer, wie zu erwarten, daher ging sie um die Ecke zum Inder und holte sich ein Shrimpscurry. Mit der Schachtel auf dem Schoß und einer Flasche südafrikanischem Merlot vor sich drückte sie auf die Fernbedienung, und der Film lief an.
      Als er zu Ende war, hatte Michelle nicht das Gefühl, viel schlauer zu sein. Ja, die Kray-Zwillinge waren brutal gewesen. Die wünschte man keinem zum Feind. Ja, sie waren steinreich gewesen und hatten sich in edlen Clubs herumgetrieben. Aber womit genau verdienten sie ihr Geld? Abgesehen von Schlachten mit den Maltesern und Treffen mit amerikanischen Gangstern war nichts über ihre Geschäfte zu erfahren. Und der Film tat, als hätte es damals gar keine Bullen gegeben.
      Michelle stellte die Nachrichten an, die Gewalttätigkeit des Films lag ihr noch im Magen. Oder war es das Curry und der Wein? Eigentlich konnte sie sich nicht vorstellen, dass die Krays etwas mit dem Mord an Graham Marshall zu tun hatten, genauso wenig wie Brady und Hindley. Sie hörte Shaw schon lachen, wenn sie von den Krays erzählte.
      Sollte Bill Marshall wirklich ernsthafte kriminelle Ambitionen gehabt haben, so hatten sie ihn nicht weit gebracht. Die Marshalls wohnten noch immer in dem Sozialbau, den sie 1984 für nur viertausend Pfund erworben hatten.
      Vielleicht war der Alte sauber geworden. Michelle hatte die späteren Akten überprüft, aber sein Name tauchte nicht mehr auf. Entweder war er also anständig geworden oder hatte sich nicht erwischen lassen. Angesichts seiner Lebensumstände tippte Michelle auf Ersteres. Grahams Verschwinden musste ihn erschüttert haben. Vielleicht ahnte er, dass seine Vergangenheit eine Rolle dabei gespielt hatte, und hatte deshalb alle Verbindungen gekappt. Michelle musste sich Zeit nehmen, um die alten Anzeigen und Berichte genauer unter die Lupe zu nehmen, sie musste die Tätigkeits- und Merkbücher der damals zuständigen Beamten ausgraben. Aber das konnte bis zur nächsten Woche warten.
      Michelle machte den Computer an und versuchte, wie oft zum Abschluss des Tages, ihre Gedanken und Theorien zu ordnen. Dann spielte sie ein paar Runden Freecell und verlor.
      Es wurde dunkel. Michelle stellte den Computer aus und räumte die Reste ihres einsamen Abendessens fort. Es war nicht mehr genug Wein da, um ihn aufzuheben, deshalb leerte sie die Flasche. Wie so oft zur Schlafenszeit schien die Depression sie einzuhüllen wie dichter Nebel. Michelle trank den Wein und lauschte den Regentropfen am Fenster. O Gott, wie sehr ihr Melissa fehlte, selbst nach so langer Zeit. Und Ted fehlte ihr manchmal auch, aber nicht so sehr wie Melissa.
      Michelles Gedanken kehrten zu jenem Tag zurück. Wie ein Film lief er in ihrem Kopf ab, immer wieder. Sie war nicht dabei gewesen - das war ein Teil des Problems -, aber sie

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