Inspector Alan Banks 14 Kein Rauch ohne Feuer
seinem müden Kopf. Als der Besoffene wieder zu »Your Cheatin' Heart« einsetzte, hielt Mark sich die Ohren zu und weinte.
»Ist das okay mit der Musik?«, erkundigte sich Banks bei Frances Aspern.
»Wie bitte?«
»Die Musik. Ist das in Ordnung?«
Sie näherten sich den Dales hinter Ripon. Aus dem Nebel erhoben sich die fernen Umrisse der Hügel in verschiedenen Graustufen wie Wale, die die Meeresoberfläche durchbrechen. Banks hatte Fado em Mim von Mariza eingelegt, traditionelle portugiesische Musik, begleitet von klassischer Gitarre und Bass, und ihm kam gerade der Gedanke, dass sie vielleicht nicht jedermanns Geschmack war. Bisher hatte Frances Aspern schweigend aus dem Fenster gestarrt. Banks hatte es aufgegeben, sich mit ihr unterhalten zu wollen. Ihr unermesslicher Schmerz war spürbar. Schmerz oder Schuldgefühl, da war er sich nicht so sicher.
»Ja«, antwortete Mrs. Aspern. »Ist gut. Klingt sehr traurig.«
Das tat es tatsächlich. Banks verstand den Text nur mit Hilfe der Übersetzung im Booklet, die er lediglich mit einer Brille entziffern konnte, aber Verlust, Trauer und die Grausamkeit des Schicksals waren in Marizas Stimme deutlich zu spüren. Dafür musste man die Worte nicht verstehen.
»Ich wollte das nicht in Gegenwart Ihres Gatten fragen«, sagte Banks, »aber haben Sie noch irgendeinen Kontakt zu Christines leiblichem Vater?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich war sehr jung. Wir haben nicht geheiratet. Meine Eltern ... sie haben mich damals nicht im Stich gelassen. Ich wohnte bei ihnen in Roundhay, bis ich Patrick geheiratet habe.«
»Aber wir müssen uns mit dem leiblichen Vater unterhalten«, beharrte Banks.
»Er ist wieder in Amerika. Ich habe ihn kennen gelernt, als er durch Europa reiste.«
»Könnten Sie mir Genaueres sagen?«
Sie schaute aus dem Fenster, sodass er sie kaum verstehen konnte. »Er heißt Paul Ryder und wohnt in Cincinnati, Ohio. Ich habe weder Anschrift noch Telefonnummer. Seit damals haben wir nichts mehr voneinander gehört.«
Banks merkte sich Namen und Stadt. Es könnte schwierig werden, diesen Paul Ryder nach so langer Zeit ausfindig zu machen, aber versuchen mussten sie es. »Wie haben Sie Dr. Aspern kennen gelernt?«, fragte er.
»Patrick war ein Kollege meines Vaters und oft bei uns zu Besuch, als Christine noch klein war. Mein Vater ist auch Arzt. Er war sozusagen Patricks Mentor. Inzwischen praktiziert er natürlich nicht mehr.«
Banks fragte sich, was ihre Eltern von dieser Liaison gehalten hatten. »Waren Sie beide gestern Abend zu Hause?«, fragte er.
Sie schaute ihn an. »Was soll ich denn darauf sagen?«
»Die Wahrheit.«
»Aha, die Wahrheit. Ja, sicher waren wir beide zu Hause.« Sie schaute wieder aus dem Fenster.
»Hat Ihr Mann das Haus gestern irgendwann verlassen?«
Mrs. Aspern schwieg.
»Möchten Sie mir vielleicht sonst noch etwas sagen?«, fragte Banks. »Gibt es vielleicht noch irgendwas?«
Sie streifte ihn kurz mit einem Blick. Er konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. Dann schaute sie wieder aus dem Fenster. Nach einer langen Pause antwortete sie: »Nein. Nein, ich glaube nicht.«
Banks gab es auf und fuhr weiter. Und Mariza sang ein Lied über Leid, Sehnsucht, Erbarmen, Strafe und Verzweiflung inmitten der im Nebel eingehüllten Landschaft.
Am späten Nachmittag wirkte alles anders, fand Annie, als sie durch den Wald zum toten Kanalarm ging. Die Gegend war immer noch abgesperrt, und sie musste ihren Dienstausweis vorzeigen und sich eintragen, bevor sie den Tatort betreten durfte. Die Feuerwehr war mit ihrer Ausrüstung inzwischen abgezogen, und eine unheimliche Stille lag über den ausgebrannten Booten und den Männern in ihren weißen Schutzanzügen mit den Kapuzen, die gewissenhaft das Ufer absuchten. In der feuchten Luft hing noch immer der Geruch von Asche.
Annie fand Detective Sergeant Stefan Nowak, der sich durch den Brandschutt auf dem Boot des Malers arbeitete. Als Tatort-Koordinator war Stefan dafür verantwortlich, dass seine hoch spezialisierten Mitarbeiter mögliche Indizien am Tatort einsammelten und dass die Kommunikation zwischen den Fachleuten im Labor und Banks' Team funktionierte.
Stefan schaute Annie entgegen. Er war ein gut aussehender, eleganter Mann - bestimmt adlig, dachte Annie, wie so viele ausgewanderte Polen -, und er sah tatsächlich irgendwie blaublütig aus, selbst in der Schutzkleidung.
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