Inspector Alan Banks 15 Eine seltsame Affäre
Richtung Soho.
Auf der Dean Street fand er ein Restaurant, in dem er schon einmal mit Annie gegessen hatte. Es hatte ihm gefallen. Wie überall, waren auch hier die Tische draußen besetzt, die Vorderfront durchgängig geöffnet. Banks strebte nach innen und wurde mit einem kleinen Ecktisch belohnt, abseits vom Straßenlärm. Für die meisten war es mit Sicherheit der am wenigsten erwünschte Platz, aber für Banks' Zwecke war er perfekt. Innen war es genauso heiß wie draußen, das machte also keinen Unterschied, und augenblicklich tauchte eine Kellnerin mit der Speisekarte auf. Sie lächelte ihn sogar an.
Banks wischte sich mit der Serviette über die Stirn und studierte die Karte. Die Schrift war klein, er griff nach seiner billigen Lesebrille. In letzter Zeit hatte er sie häufiger zum Zeitunglesen und fürs Kreuzworträtsel aufsetzen müssen.
Er brauchte nicht lange, um sich für ein mediumgebratenes Steak, Pommes und eine Halbliterflasche Chäteau Musar zu entscheiden. Während er auf das Essen wartete, trank er das erste Glas Wein. Der vollmundige Geschmack war genauso kräftig, wie er ihn in Erinnerung hatte. Annie hatte der Wein auch geschmeckt.
Annie. Was sollte er nur mit ihr machen? Warum hatte er sich so unmöglich verhalten nach allem, was sie für ihn getan hatte? Sie war stinksauer auf ihn, das wusste er, aber mit ein wenig Einfühlungsvermögen mochte er vielleicht an sie herankommen. Ehrlich gesagt, kamen sie seit der Trennung nicht mehr gut miteinander aus. Banks war eifersüchtig auf Annies Freunde gewesen, und er wusste, dass es ihr genauso ging. Das war einer der Gründe, warum es so unverzeihlich war, wie abweisend er sie im Krankenhaus behandelt hatte. Aber das waren außergewöhnliche Umstände, sagte er sich. Er war nicht ganz bei Verstand gewesen.
Das Steak und die Pommes wurden serviert, Banks dachte wieder an Roy. Mit ein wenig Glück würde er irgendetwas aus dem Computer herausbekommen - warum sonst hatte Roy diese Daten versteckt? -, einen Namen, eine Firma, irgendetwas, das ihn in die richtige Richtung lenkte. Das Problem war eher, dass er wahrscheinlich zu viel herausfinden würde. Aber leider verfügte Banks nicht über eine Handvoll Constables, die er rausschicken konnte, um die unwichtigen von den wichtigen Spuren zu trennen. Vielleicht konnte er noch einmal zu Corinne gehen und sie um Hilfe bitten. Sie hatte es ihm angeboten.
Kurz kam Mitgefühl für Corinne in ihm auf. Er fröstelte. Hatte er sie mit Roys Geschäftsgeheimnissen in Gefahr gebracht? Banks war sich sicher, dass ihm niemand zu ihrem Haus gefolgt war, auch jetzt war ihm keiner auf den Fersen. Es war alles in Ordnung, versicherte er sich. Er würde Corinne als Erstes am nächsten Morgen anrufen, um beruhigt zu sein.
Er war nur einmal mit Roy essen gewesen, stellte er fest, als er in das saftige Fleisch biss. Banks traf seinen Bruder immer nur flüchtig auf Familienfeiern, und davon hatte es in den letzten Jahren nicht mehr viele gegeben. Banks war bei Roys erster Hochzeit gewesen, aber zusammen essen gegangen waren die beiden nur einmal. Die Einladung war aus heiterem Himmel gekommen, ohne besonderen Anlass.
Es war Mitte der Achtziger gewesen, als die Finanzwelt unter den Skandalen des Insidertradings ächzte. Womit auch immer Roy jetzt sein Geld verdiente, damals war er Börsenmakler gewesen und hatte in Armani-Anzug und mit teurer Frisur den erfolgreichen Geschäftsmann gemimt, Mamas Liebling. Banks ging es damals schlecht, so ähnlich wie jetzt. Ironie des Schicksals. Er lebte in London und stand kurz vor einem Burnout. Beruf und Ehe wurden nur noch notdürftig zusammengehalten, er wartete auf die Entscheidung, ob sein Antrag auf Versetzung nach North Yorkshire angenommen würde. Da rief ihn eines Tages Roy im Büro an - Banks wusste nicht, ob sein Bruder überhaupt seine damalige Adresse kannte - und fragte, ob er Zeit für ein Essen im The Ivy hätte.
In dem Restaurant tummelte sich damals die Unterhaltungsindustrie. Banks meinte, den einen oder anderen Star zu erkennen, wusste aber keine Namen. Auf jeden Fall hatten die Gäste wie Promis ausgesehen und sich auch so benommen. Nach einer halben Stunde Familientratsch und höflichen Erkundigungen nach Banks' Beruf und Wohlergehen bei einem sehr teuren Shepherd's Pie und einer noch teureren Flasche Burgunder hatte Roy das Gespräch auf die jüngsten Skandale gelenkt. Er sprach nichts offen an, doch Banks hatte den
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