Inspector Alan Banks 15 Eine seltsame Affäre
Eindruck gewonnen, Roy habe ihn anzuzapfen versucht. Nicht dass er irgendetwas wusste, aber sein Bruder hatte sich stark für die Vorgehensweise bei Ermittlungen interessiert, hatte wissen wollen, wie die Polizei Informationen sammelte, was sie von den Informanten hielt, wie die Gesetzeslage war und so weiter. Er hatte es clever angestellt und nicht locker gelassen bis zu den gefrorenen Beeren mit weißer Schokoladensauce zum Nachtisch. Sinn und Zweck der Einladung waren eindeutig gewesen.
Dann war da noch etwas. Banks war nicht ganz überzeugt, aber er hatte genug mit Drogen zu tun gehabt, um die Zeichen zu erkennen, und er vermutete, dass Roy high war.
Wahrscheinlich Koks. War damals schließlich die angesagte Droge unter erfolgreichen jungen Männern. Irgendwann war Roy auf die Toilette gegangen und mit rotem Kopf zurückgekommen, danach war er noch zappeliger gewesen und hatte hin und wieder geschnieft.
Das war wohl die Zeit, als Banks anfing, Roy für potenziell kriminell zu halten. Davor war er nur der nervende kleine Bruder gewesen, das Vorbild, mit dem Banks verglichen wurde und das er nie erreichte. Selbst wenn er nun an das Gespräch an jenem Abend zurückdachte, glaubte er, richtig gelegen zu haben. Roy hatte etwas im Schilde geführt und abzuschätzen versucht, wie wahrscheinlich eine Aufdeckung seiner Machenschaften war. Nun, er war nicht erwischt worden, und inzwischen schien er sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Aber waren das ehrlichere Geschäfte?
Banks schenkte sich den Rest des Château Musar ein. Vielleicht hätte er eine ganze Flasche bestellen sollen, dachte er. Aber das war zu viel, er wollte für morgen einen einigermaßen klaren Kopf behalten. Soweit er im Dämmerlicht erkennen konnte, war es auf der Straße noch voller geworden. Es war hauptsächlich junges Volk unterwegs, das bis in die frühen Morgenstunden feiern und trinken würde.
Bei Kaffee und Cognac fiel Banks ein, dass er keine Unterkunft hatte. Er hatte vergessen, ein Hotelzimmer zu reservieren. Dann spürte er die Schwere der Schlüssel und des Handys in seiner Tasche. Ihm wurde klar, dass er in dem Moment, als er sie eingesteckt und Roys Haus verlassen hatte, entschieden hatte, wo er übernachten würde. Es war sinnlos, zu dieser Uhrzeit im Labyrinth der Straßen von Soho ein Taxi auftreiben zu wollen, deshalb ging er zu Fuß zur Charing Cross Road, wo er sofort eines fand und den Fahrer bat, ihn nach South Kensington zu bringen.
Geduldig hatte Winsome den ganzen Nachmittag und frühen Abend versucht, Banks' Eltern oder seine Kinder telefonisch zu erreichen - ohne Erfolg. Was seine Freunde anging, da stand sie auf verlorenem Posten. Sie hatte ein altes Adressbuch in einer Schublade gefunden, aber es enthielt nicht viele Einträge; manche waren so alt, dass es dort inzwischen gar keinen Anschluss mehr gab. Es war sonderbar, nach dem eigenen Chef zu suchen, im Adressbuch eines Menschen herumzuschnüffeln, den sie »Sir« nannte und zu dem sie aufblickte. Aber zweifelsohne würde Banks ein paar Fragen beantworten können. Auch war Winsome bewusst, dass er sich möglicherweise in Gefahr befand. Immerhin war eine Frau erschossen worden, die auf dem Weg zu ihm war, und es war in sein bisher erst zur Hälfte renoviertes Cottage eingebrochen worden. Zufall? Das mochte Winsome nicht glauben.
Nach der Durchsicht der Telefonnummern der Familie hatte Winsome zunächst Banks' Tochter Tracy in Leeds angerufen. Als sie sie endlich gegen fünf Uhr erreichte, sagte Tracy, sie hätte keine Ahnung, wo ihr Vater sei. Der Sohn Brian ging nicht an sein Handy; Winsome hinterließ eine Nachricht. Als sie am frühen Abend zum dritten Mal bei Banks' Eltern anrief, meldete sich eine Frau.
»Mrs. Banks?«, fragte Winsome.
»Ja. Wer ist da?«
»Ich bin Detective Constable Jackman. Ich arbeite mit Ihrem Sohn zusammen, DCI Banks. Ich habe bereits den ganzen Nachmittag versucht, Sie zu erreichen.«
»Tut mir leid, aber wir haben meinen Bruder und seine Frau in Ely besucht. Warum? Ist was passiert? Ist was mit Alan?«
»Nein, es ist nichts, Mrs. Banks. Soweit wir wissen, ist alles in Ordnung. Er hat diese Woche Urlaub, aber Sie wissen ja bestimmt, wie das mit unserer Arbeit manchmal ist. Wir müssten ihn sprechen, es ist ziemlich dringend. Er hat sein Handy offenbar nicht dabei. Ich dachte, Sie wüssten vielleicht, wo er ist.«
»Nein, meine Liebe«, entgegnete Mrs. Banks. »Er sagt uns
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