Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
wälzten. Die mussten doch irgendwann auf das Primitive zurückfallen, oder? Wenn man die dünne, aber unerlässliche Schicht aus Zivilisation und Tradition, Gehorsam und Ordnung abkratzt, dann stößt man auf das wilde Tier, das in jedem von uns lebt, Mr. Banks, das wilde Tier. Irgendjemand musste unweigerlich das Opfer werden. Leuchtet doch ein. Ich wundere mich nur, dass es nicht mehr waren.«
»Aber was war Ihrer Meinung nach das Besondere an Linda Lofthouse, das zu ihrem Tod führte?«
»Zuerst mal muss ich gestehen, dass ich es für ein Sexualverbrechen hielt, als ich sie da in dem Schlafsack liegen sah, mit dem aufgebauschten Kleid. Sie sah so danach aus, wissen Sie?«
»Wie sah sie aus?«
»Wie viele junge Mädchen damals. Als würde sie einen sofort in ihren Schlafsack einladen.«
»Aber sie war tot.«
»Ja, sicher, natürlich, ich weiß.« Bradley lachte nervös. »Ich meine, ich bin nicht nekrophil oder so. Ich erzähle Ihnen bloß, wie mein erster Eindruck von ihr war. Schließlich stellte sich heraus, dass es kein Sexualverbrechen war, sondern so ein Verrückter. Wie gesagt, so was ist unweigerlich die Folge, wenn man diesem fehlgeleiteten Verhalten Vorschub leistet. Sie hatte ein uneheliches Kind, wissen Sie?«
»Linda Lofthouse?«
»Ja. Als wir sie fanden, nahm sie natürlich die Pille, wie die meisten Frauen, aber mit fünfzehn ganz offensichtlich noch nicht. Gab das Kind 1967 zur Adoption frei.«
»Hat jemand in Erfahrung gebracht, was aus dem Kind wurde?«
»Das ging uns nichts an. Wir machten den Vater ausfindig, einen jungen Kerl namens Donald Hughes, Automechaniker, und der konnte uns schildern, was für ein Leben Linda führte und wo sie wohnte, aber er hatte ein Alibi und kein Motiv. Er hatte seinen Weg gemacht. Hatte eine gute Stelle und wollte nichts mehr mit Linda und ihrem Hippie-Leben zu tun haben. Deshalb hatten sich die beiden auch getrennt. Wenn Linda nicht von diesem verdorbenen Leben verführt worden wäre, hätte das Kind vielleicht bei richtigen Eltern leben können.«
Die Identität des Kindes konnte jetzt wichtig sein, dachte Banks.
Ein Ende der Sechziger geborenes Kind wäre jetzt Ende dreißig, und wenn es herausfand, was mit seiner leiblichen Mutter geschehen war ... Nick Barber war achtunddreißig, aber er war selbst zum Opfer geworden. Banks brachte all die Verbrechen durcheinander:
Lofthouse, Merchant, Barber. Er musste sich wieder konzentrieren. Zumindest die Verbindung zwischen Barber und Lofthouse konnte er näher untersuchen, ohne hinterher als kompletter Dummkopf dazustehen, falls er falsch lag.
»Was war das Motiv?«
»Haben wir nie herausbekommen. Das war ein Irrer.«
»War das damals der Fachausdruck für einen Psychopathen?«
»So haben wir die halt genannt«, sagte Bradley, »aber politisch korrekt wäre wohl Psychopath oder Soziopath gewesen - ich weiß den Unterschied nie.«
»Er gestand den Mord?«
»So gut wie.«
»Was meinen Sie damit?«
»Er leugnete es nicht, als er mit den Beweisen konfrontiert wurde.«
»Das Messer, was?«
»Mit seinen Fingerabdrücken und dem Blut von Linda Lofthouse darauf.«
»Wie kamen Sie auf diese Person - wie hieß er übrigens?«
»McGarrity. Patrick McGarrity.«
»Wie wurden Sie überhaupt auf diesen McGarrity aufmerksam?«
»Wir fanden heraus, dass das Opfer in verschiedenen Häusern in der Stadt bekannt war, wo Studenten und Aussteiger lebten und Drogen verkauften. McGarrity ging dort ebenfalls ein und aus, er war sogar Drogendealer, wofür wir ihn bei der Razzia gleich einmal festnahmen.«
»Und dann wurde DI Chadwick argwöhnisch?«
»Hm, ja. Wir hörten, dass McGarrity ein bisschen verrückt war und dass selbst die Leute, bei denen er ein und aus ging, Angst vor ihm hatten. Damals wurden seltsame Gestalten wie er toleriert, besonders wenn sie für Drogen sorgten, weshalb ich eben sagte, es würde mich wundern, dass so etwas nicht öfter passiert ist. Dieser McGarrity hatte ganz klar psychische Probleme. Zu oft auf den Kopf gefallen, würde ich sagen. Zuerst mal war er älter als die anderen, außerdem vorbestraft und wegen seiner Aggressivität bekannt. Er spielte immer mit seinem Springmesser herum. Das machte die anderen nervös, was zweifellos seine Absicht war. Es war die Rede davon, dass er ein junges Mädchen terrorisiert hatte. Ein ganz und gar unangenehmer
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