Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
viel trank. Nach dem katastrophalen Mittagessen mit Eric und dem anschließenden Gespräch mit Claire hatte Annie das Gefühl, durch die Mangel gedreht worden zu sein. Vielleicht halfen ein paar Seelentröster zu Hause: ein Glas Wein, ein Buch, ein Bad mit viel Schaum. Und eine Klatschzeitschrift.
Immerhin hatte Les Ferris auf dem Heimweg auf Annies Handy angerufen und gesagt, er wüsste jetzt, wo sich die Haarproben befänden, er müsste sie eigentlich noch vor dem Wochenende in die Hände bekommen. Das war eine gute Nachricht.
Als es dunkel wurde, zog Annie die Vorhänge zu und schaltete zwei kleine Lampen an, die den Raum in ein warmes Licht tauchten. Sie hatte keinen großen Hunger, aß aber den Rest der kalten Pasta und schenkte sich ein großzügiges Glas Soave aus einem Drei-Liter-Karton ein. Banks mochte zum Weinexperten geworden sein, seit er den Weinkeller seines Bruders geerbt hatte, Annie war es nicht. Sie roch keinen Unterschied zwischen einer starken Ledernote und einem Loch im Boden. Sie konnte nur sagen, ob ihr ein Wein gefiel oder ob er Kork hatte, und wenn er aus dem Karton kam, war er normalerweise gut.
Annie griff zum zweiten Band von Hilary Spurlings Matisse-Biographie, konnte sich aber nicht auf den Text konzentrieren, weil sie an Claire denken musste und wie deren Leben so früh ausgebremst worden war. Natürlich könnte Claire darüber hinwegkommen, es war noch nicht zu spät, wenn sie die richtige Hilfe bekam, aber würde sie sich je wirklich von so einem Schicksalsschlag erholen? Wenn Annie an den Blick dachte, den Claire ihr zugeworfen hatte, als sie sagte, sie suche den Mörder von Lucy Payne, dann hätte sie am liebsten aufgegeben. Wozu das Ganze? Hatte irgendjemand Interesse daran, dass der Mörder der berüchtigten Freundin des Teufels seinem Richter zugeführt wurde? Konnte man Lucy Payne jemals vergeben? Hatte Maggie Forrest ihr verziehen? Hatte sie wieder nach vorn blicken können?
Annie musste an einen Fernsehfilm denken, die sie vor ein paar Monaten gesehen hatte. Es ging um Lord Longfords Kampagne zur Begnadigung von Myra Hindley und war schwer auszuhalten gewesen. Die Moor-Morde hatten lange vor Annies Zeit stattgefunden, doch wusste sie natürlich wie alle Polizisten darüber Bescheid und kannte auch die Aufnahmen, die Brady und Hindley gemacht hatten. Auf der einen Seite verlangte die Kirche, seinen Mitmenschen zu verzeihen, und lehrte, dass jeder Vergebung erlangen könne, sie heiligte das Prinzip der Erlösung von den Sünden, aber von Lord Longford einmal abgesehen, würde man lange suchen müssen, bis man jemanden fand, der Christ genug war, um Myra Hindley ihre Verbrechen zu vergeben, selbst wenn die Öffentlichkeit der Meinung war, dass sie als Frau nicht genauso viel Schuld an den Morden hatte wie Brady. Mit Lucy Payne war es dasselbe, auch wenn die Umstände dazu geführt hatten, dass sie nicht der Justiz überantwortet, sondern stattdessen in ihrem eigenen Körper eingesperrt worden war.
Tommy Naylor und die anderen aus der Mannschaft waren den ganzen Tag in West Yorkshire unterwegs gewesen und hatten die Familien der Paynes-Opfer befragt, während Ginger damit beschäftigt gewesen war, in der Angelegenheit mit Kirsten Farrow nach Anhaltspunkten zu suchen. Annie hatte am Handy mit Naylor gesprochen und den Eindruck bekommen, dass alle so deprimiert waren wie sie selbst, wenn nicht noch mehr. Wenn man mit so viel angestautem Kummer und Empörung angesichts der Ungerechtigkeit konfrontiert wurde, wie konnte man da einen klaren Blick auf die Aufgabe bewahren, die man zu erledigen hatte?
Annie wollte gerade in die Badewanne gehen, als es an ihrer Tür klopfte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Ihr erster Gedanke war, Eric könne herausbekommen haben, wo sie wohnte. Sie wollte ihn nicht sehen. Zuerst überlegte sie, ob sie das Klopfen ignorieren und so tun sollte, als sei sie nicht zu Hause. Dann pochte es erneut. Annie wagte sich auf Zehenspitzen zum Fenster und spähte durch den Vorhang. Wegen der schwachen Beleuchtung konnte sie aus ihrem Winkel nicht viel erkennen, aber sie sah, dass es nicht Eric war. Dann entdeckte sie den Porsche am Straßenrand. Banks. Scheiße, den wollte sie jetzt erst recht nicht sehen, nicht nach der peinlichen Situation neulich abends. Aber er würde nicht so schnell aufgeben. Er blieb beharrlich und klopfte abermals. Annies Fernseher lief mit abgestelltem Ton, wahrscheinlich sah Banks das flackernde
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