Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
»Das tue ich.«
»Ich bin nie wieder zur Schule gegangen, wissen Sie«, sagte Claire.
»Was?«
»Nach der Sache mit Kim. Ich konnte einfach nicht mehr hingehen. Wahrscheinlich hätte ich meine Prüfungen machen können, vielleicht auch studieren können, aber irgendwie war danach alles egal.«
»Und jetzt?«
»Tja, ich habe Arbeit. Mum und ich kommen schon zurecht, oder?«
Mrs Toth lächelte.
Annie fiel keine weitere Frage ein, und sie hielt es keinen Moment länger in dem Zimmer aus. »Hören Sie«, sagte sie zu Claire, stand auf und griff nach ihrer Aktentasche, »wenn Ihnen noch irgendwas einfällt, das uns helfen könnte ...« Sie suchte nach einer Visitenkarte.
»Das Ihnen wobei hilft?«
»Ich untersuche den Mord an Lucy Payne.«
Claire runzelte die Stirn. Sie riss die Visitenkarte in Stücke und ließ sie zu Boden fallen. »Eher schneide ich mir die Zunge ab«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.
Das Café unter Malcolm Austins Fenster war ein durchaus passender Ort für ein zweites Gespräch mit Stuart Kinsey, fand Banks, als er mit Winsome im Schatten einer knospenden Platane auf zwei leichten Klappstühlen an einem wackligen Tisch Platz nahm. Da die beiden Kinsey in der Fachbibliothek aufgetrieben hatten, wo er an einem Aufsatz arbeitete, hatten sie nur einen kurzen Weg gehabt. Es war noch ein wenig kalt, um längere Zeit draußen zu sitzen, und so war Banks dankbar für seine Lederjacke. Hin und wieder fuhr eine Windböe durch die Zweige des Baumes und kräuselte die Oberfläche seines Kaffees.
»Was wollen Sie denn diesmal?«, fragte Kinsey. »Ich habe doch schon alles gesagt, was ich weiß.«
»Aber das war nicht gerade viel, hm?«, meinte Winsome.
»Dafür kann ich ja wohl nichts, oder? Für mich ist es schon furchtbar genug zu wissen, dass ich in der Nähe war, so nah -«
»Was hätten Sie denn tun können?«, fragte Banks.
»Ich ... ich weiß nicht -«
»Nichts«, sagte Banks. So ganz stimmte das nicht. Wenn Kinsey zu dem Zeitpunkt in Taylor's Yard gegangen wäre, als der Mörder Hayley angriff, hätte er ihn gestört, der Täter wäre geflüchtet und Hayley hätte überlebt. Aber was brachte es, Kinsey so etwas einzureden? »Sie wussten doch überhaupt nicht, was los war«, sagte Banks. »Außerdem war da schon alles vorbei. Hören Sie auf, sich Vorwürfe zu machen.«
Eine Weile sagte Kinsey nichts, sondern starrte in seinen Kaffee.
»Wie sehr mochten Sie Hayley?«, fragte Banks.
Kinsey schaute ihn an. Neben dem Mund hatte er einen zornigen roten Fleck. »Warum wollen Sie das wissen? Glauben Sie immer noch, dass ich ihr was angetan habe?«
»Beruhigen Sie sich!«, sagte Banks. »Das behauptet doch niemand. Bei unserem letzten Gespräch sagten Sie uns, Sie seien in Hayley verliebt gewesen, aber sie hätte Ihre Gefühle nicht erwidert.«
»Das stimmt.«
»Ich frage mich nur, wie Sie sich dabei gefühlt haben.«
»Wie ich mich dabei gefühlt habe? Was glauben Sie denn? Wie würden Sie sich wohl fühlen, wenn jemand, den Sie so sehr begehren, dass Sie nicht mehr schlafen können, kaum von Ihrer Existenz Notiz nimmt?«
»So schlimm war es doch wohl nicht«, meinte Banks. »Sie waren doch öfter mit Hayley unterwegs, sahen sie regelmäßig, gingen mit ihr ins Kino und so weiter.«
»Ja, aber meistens war die ganze Clique dabei. Ich war nur selten ganz allein mit ihr.«
»Sie haben sich mit ihr unterhalten. Sie haben sogar gesagt, Sie hätten Hayley einmal geküsst.«
Kinsey warf Banks einen vernichtenden Blick zu. Den hatte er wohl verdient. Gespräche und ein paar freundschaftliche Küsse waren kein großer Ersatz, wenn man permanent mit einem Ständer durch die Gegend lief.
»Stuart, Sie sind der Einzige, von dem wir wissen, dass er zur richtigen Zeit am Tatort war«, sagte Winsome so sachlich und vernünftig sie konnte. »Und Sie haben ein Motiv: Ihre unerwiderte Liebe zu Hayley. Wir brauchen Antworten von Ihnen.«
»Mittel, Motiv und Gelegenheit. Das ist ja verdammt praktisch für Sie! Wie oft muss ich Ihnen noch sagen, dass ich es nicht getan habe? So frustrierend es auch war, mir lag etwas an Hayley, und ich glaube'nicht, dass ich jemanden töten könnte. Ich bin Pazifist, verdammt noch mal! Ein Dichter.«
»Sie müssen nicht gleich fluchen«, gab Winsome zurück.
Kinsey war zerknirscht. »Tut mir leid. Das war unhöflich. Es
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