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Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht

Titel: Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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übernächsten Club. Irgendwann hatte Annie die Frauen verloren. Sie konnte nur hoffen, dass sie nicht mitbekommen hatten, wie es mit ihr weitergegangen war. Das Schuldgefühl und die Scham saßen Annie brennend im Magen, als sie ungefähr hundert Meter von der Klippe entfernt an der nicht abgezäunten Straße parkte. Das Erste, was sie erblickte, war die mächtige Gestalt von Detective Superintendent Brough vor ihr. Annies Mut sank.
      »Guten Tag, DI Cabbot«, sagte er, obwohl es noch früh am Morgen war. »Schön, dass Sie auch kommen konnten.«
      Wenn man bedachte, wie schnell Annie aufgetaucht war, war die Bemerkung dumm und gefühllos, doch sie sagte nichts. An so etwas war sie bei Brough gewöhnt. Er war als fauler Hund bekannt, der nur noch seine Zeit bis zur Pensionierung in sechs Wochen absaß und sich auf endlose Golfrunden und lange Ferien in Torremolinos freute. Selbst in seiner aktiven Zeit hatte er nicht genug Energie oder Verstand besessen, sich wie die anderen die Taschen zu füllen, so dass er jetzt keine Villa besaß, sondern nur eine Mietwohnung mit Wänden aus Rigips und eine alternde spanische Tussi mit einer Vorliebe für auffälligen Schmuck, billiges Parfüm und noch billigeren Schnaps. Erzählte man sich jedenfalls.
      »Ich wundere mich, dass Sie an einem Sonntagmorgen unterwegs sind, Sir«, sagte Annie, so fröhlich sie konnte. »Ich dachte, Sie wären in der Kirche.«
      »Na ja, was sein muss, muss sein. Die Pflicht ruft, Cabbot«, gab er zurück. »Die Pflicht, das Zauberwort. Eine Einstellung, die wir uns alle zu eigen machen sollten.« Er wies hinüber zur Klippe. Annie sah eine sitzende Gestalt, umringt von Polizisten. »Da drüben«, sagte Brough, als habe er mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun. »DS Naylor und DC Baker werden Sie unterrichten. Ich fahre besser zurück aufs Revier und verteile die Aufgaben. Wir mussten schon ein paar Lokalreporter abwimmeln, das gibt bestimmt bald noch mehr Interesse vonseiten der Medien. Sie werden gleich sehen, was ich meine. Bis später, DI Cabbot. Und ich erwarte hundertzwanzig Prozent in diesem Fall. Hundertzwanzig Prozent! Denken Sie dran!«
      »Ja, Sir. Auf Wiedersehen«, sagte Annie zu seinem Rücken. Leise vor sich hin fluchend, kämpfte sie sich gegen den Wind über das nasse Gras hoch bis zur Klippe. Sie schmeckte das Salz auf ihren Lippen und spürte, wie es ihr in den Augen stach. Soweit sie mit zusammengekniffenen Augen erkennen konnte, saß die Gestalt in einem Rollstuhl und starrte aufs Meer. Als Annie näher kam, merkte sie, dass es sich um eine Frau handelte, deren Kopf von einem Halo-Fixateur gehalten wurde. Vom Kinn bis zum Schoß hatte sich ein breiter dunkler Latz roten Blutes ausgebreitet. Annie stieß sauer auf und musste schlucken. Normalerweise machten ihr Leichen nichts aus, aber das Bier vom Vorabend und dann die kribbelnden blauen Drinks mit den Schirmchen waren nicht gerade hilfreich gewesen.
      Naylor und Baker standen neben der Leiche, während der Polizeiarzt sie untersuchte und der Fotograf seine Bilder machte. Annie begrüßte die Kollegen. »Was haben wir da?«, fragte sie Naylor.
      »Ungeklärter Todesfall, Ma'am«, sagte er in seiner üblichen lakonischen Art.
      DC Baker grinste.
      »Das sehe ich auch, Tommy«, sagte Annie und betrachtete die von einem Ohr zum anderen reichende Wunde, die freigelegten Knorpel und das Blut. »Die Tatwaffe?«
      »Keine Spur, Ma'am.«
      Annie wies auf den Rand der Klippe. »Hat schon einer unten nachgeguckt?«
      »Ein paar PCs suchen schon die Gegend ab«, sagte Naylor. »Aber sie müssen sich beeilen. Die Flut kommt bald.«
      »Nun, wenn keine Tatwaffe da ist, können wir wohl davon ausgehen, dass die Frau sich nicht selbst um die Ecke gebracht hat«, sagte Annie. »Waren's vielleicht die Möwen?«
      »Kann schon sein«, gab Naylor zurück und schaute hoch zu dem krächzenden Schwarm. »Die werden immer frecher, haben auf jeden Fall schon an der Leiche gepickt.« Er wies auf mehrere Stellen. »Sehen Sie das da im Ohr und drum herum? Ich schätze, die Wunden bluten nicht, weil die Frau schon ausgeblutet war, als die Vögel mit dem Picken anfingen. Tote bluten nicht.«
      Der Arzt schaute auf. »Aus dir machen wir noch einen Rechtsmediziner, Tommy«, sagte er.
      Annies Magen meldete sich erneut. Wieder kam ihr das Essen von gestern hoch. Nein, das würde sie nicht tun. Sie würde sich nicht vor Tommy Naylor übergeben. Aber Möwen?

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