Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
Winsome.
Donna McCarthy stand auf, kramte in einer Schublade und kehrte mit dem Schnappschuss eines jungen Mädchens zurück, das neben dem Marktkreuz stand. »Das ist ungefähr einen Monat alt«, sagte sie.
»Darf ich es mir ausleihen?«
»Ja, aber ich hätte es gerne zurück.«
»Natürlich. Wann haben Sie Hayley zuletzt gesehen?«, fragte Winsome.
»Gestern Abend. Das muss gegen sechs Uhr gewesen sein. Sie wollte den Bus nach Eastvale nehmen, um sich mit Freunden zu treffen.«
»Macht sie das öfter?«
»Samstags fast immer. Sie haben vielleicht schon gemerkt, dass hier nicht viel los ist.«
Winsome musste an das Dorf denken, in dem sie aufgewachsen war, hoch in den Cockpit Mountains von Jamaika über der Montego Bay. »Nicht viel los« wäre da noch untertrieben gewesen. Dort gab es eine Schule, die aus einem Klassenzimmer bestand, und die Zukunft lag in der Bananenchipsfabrik, wo Winsomes Mutter und Großmutter gearbeitet hatten. Es sei denn, man ging hinunter in die Bucht, wie Winsome es anfangs getan hatte, und arbeitete für die Touristen. »Können Sie mir die Namen von Hayleys Freunden nennen?«, fragte sie.
»Ein paar vielleicht. Die Vornamen. Aber sie hat mit mir nicht über ihre Freunde geredet und sie auch nicht mitgebracht, damit wir sie kennenlernen.«
»Waren das Freunde von der Arbeit? Von der Schule? Vom College? Was machte Hayley?«
»Sie ging zum College in Eastvale.«
»Fuhr sie jeden Tag mit dem Bus dorthin? Das ist eine lange Strecke.«
»Nein. Sie fuhr selbst. Sie hat einen alten Fiat. Geoff hat ihn gebraucht für sie gekauft. Das macht er beruflich.«
Winsome erinnerte sich an den Führerschein, den Banks in der Handtasche des Mädchens gefunden hatte. »Aber gestern Abend ist sie nicht gefahren?«
»Nein, natürlich nicht! Sie wollte ja was trinken. In der Hinsicht war sie immer sehr vorsichtig. Trinken und fahren, das gab's bei ihr nicht.«
»Wie wollte sie nach Hause kommen?«
»Gar nicht. Deshalb ... ich meine, wenn sie nach Hause hätte kommen wollen, hätte ich sie ja vermisst gemeldet, nicht? Auch wenn ich nicht ihre leibliche Mutter bin, habe ich mein Bestes getan, sie so zu lieben, als wäre sie mein eigenes Kind, damit sie sich ...«
»Natürlich«, sagte Winsome. »Wissen Sie, wo Hayley übernachten wollte?«
»Bei einer der Freundinnen vom College, wie immer.«
»Was studierte sie?«
»Tourismus. Auf Diplom. Das war ihr großer Traum, um die ganze Welt zu reisen.« Donna McCarthy musste wieder weinen. »Was ist mit ihr passiert? Wurde sie ...?«
»Wir wissen es nicht«, log Winsome. »Sie wird bald vom Arzt untersucht.«
»Sie war so ein hübsches Mädchen.«
»Hatte sie einen Freund?«
Der Constable kam mit einem Tablett zurück, das er widerwillig vor die beiden Frauen auf den Tisch stellte. Winsome dankte ihm.
»Sonst noch was?«, fragte er in sarkastischem Ton.
»Nein«, sagte Winsome. »Sie können jetzt gehen, wenn Sie wollen. Danke.«
Der Constable brummte vor sich hin, ignorierte Winsome, verbeugte sich vor Donna McCarthy und verschwand.
Donna wartete einen Moment, bis sie die Haustür ins Schloss fallen hörte, dann sagte sie: »Keinen bestimmten. Nicht dass ich wüsste. Viele Jugendliche sind heute lieber in der Gruppe unterwegs, als sich nur an einen einzigen Menschen zu hängen, nicht wahr? Deswegen kann man ihnen keinen Vorwurf machen. Ist doch viel lustiger so, als immer nur mit einem einzigen zusammen zu sein, oder?«
»Ich will nicht unhöflich sein«, sagte Winsome, »aber gab es ...? Ich meine, war Hayley sexuell aktiv?«
Donna McCarthy dachte kurz nach und sagte dann: »Ich würde mich wundern, wenn sie nicht aktiv gewesen wäre, aber ich denke nicht, dass sie häufig den Partner wechselte oder so. Sie hat es mit Sicherheit ausprobiert. Als Frau merkt man so was.«
Die Heizung im Haus lief auf Hochtouren, es war viel zu warm in dem kleinen Raum. Schweiß glänzte auf Donnas Stirn.
»Aber den Namen des Jungen kennen Sie nicht?«
»Nein, tut mir leid.«
»Schon gut.« Winsome ging davon aus, jetzt genug Anhaltspunkte für ihre Nachforschungen zu haben. Über die Abteilung für Tourismus am College würde sie Hayleys Freunde ausfindig machen und dann weitersehen. »Sie haben eben gesagt«, fuhr sie fort, »dass Sie Ihren Mädchennamen aus beruflichen Gründen behalten hätten. Darf ich
Weitere Kostenlose Bücher