Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
wahrscheinlich bis zum Ausgang schaffen, ohne dass er sie einholte. Aber diese verfluchten hohen Absätze würden sie behindern. Sie würde die Schuhe ausziehen müssen.
Als sie die Highheels abstreifte, kam der Mann auf sie zu. Sie sah, dass er den Mund öffnete, etwas sagen wollte, doch ehe sie verstand, was vor sich ging, tauchte hinter ihm eine zweite Gestalt auf, ebenfalls schwarz gekleidet, schwer zu erkennen. Sie bewegte sich flink und fuhr mit der Hand von hinten über die Kehle des Mannes. Die beiden waren nur noch einen Meter entfernt. Ein warmer, leicht süßlicher, metallischer Regen sprühte auf Chelseas Gesicht und Brust. Der Mann schien sich zu wundern und legte die Finger an den Hals. Die andere Gestalt verschwand im Dunkeln.
Chelsea taumelte einige Schritte rückwärts. Sie war mit dem Mann allein, doch er bewegte sich nicht von der Stelle. Er nahm die Hand vom Hals und sah sie an, dann öffnete er den Mund, als wolle er etwas sagen, aber es kam nichts heraus. Er fiel auf die Knie. Chelsea hörte, wie sie beim Auftreffen auf das Pflaster knackten. Sie stand da, die Hand vorm Mund, und der Mann kippte vornüber und fiel aufs Gesicht. Es knirschte, als er sich die Nase brach. Erst da begann Chelsea zu schreien und rannte zum Ausgang.
Josh Ritter sang »Girl in the War«, als Banks über die gewundene dunkle Straße am Fluss entlang durchs Tal fuhr. Der Porsche gefiel ihm immer besser, stellte er fest. Er passte sich ihm immer mehr an. Der Wagen war jetzt etwas schmuddeliger, wirkte benutzter, nicht so prahlerisch, und in den Kurven und Hügeln hatte er eine herrliche Straßenlage. Vielleicht würde Banks ihn doch behalten. Links von ihm stieg der Hang langsam an, die Felder wichen Kalksteinfelsen und dem Moor mit Ginster und Heide, in der Nacht nicht mehr als Schemen, und der Fluss, der sich durch das breite Tal schlängelte, glitzerte im Mondlicht. Banks fuhr an dem Drumlin mit den vier vom Wind gebeugten Bäumen vorbei und wusste, dass er bald auf der Zielgerade sein würde.
Während er der Musik lauschte, dachte er an Sophia und welch frischen Wind sie in Harriets Dinnerparty gebracht hatte. Er fragte sich, ob sie verheiratet war. Eine attraktive Frau wie sie hatte bestimmt einen festen Freund, wohnte vielleicht sogar mit jemandem zusammen. Er wusste, dass es müßig war, sich auch nur eine Sekunde lang einzubilden, hinter Sophias Einladung zum gemeinsamen Wandern stecke mehr als auf Anhieb ersichtlich, und er erinnerte sich an seinen eigenen Vorsatz, sich nicht in sie zu verlieben. Da bestand sowieso keine große Chance. Banks hoffte aber, er würde wenigstens Zeit haben, Sophia am Sonntag zu treffen. Wie sie gesagt hatte, brauchte selbst ein gefragter Polizist wie er hin und wieder mal ein paar Stunden Freizeit. Und er war der Chef, beinahe wenigstens.
Der sogenannte Zufallsgenerator schien jetzt eine Weile Folk-songs spielen zu wollen. So was kam öfter vor. Auf Kate Rusbys »No Names« folgte »Worcester City« von Eliza Carthy. Dann kam »O Love Is Teasin'« von Isobel Campbell. Manchmal hatte Banks das Gefühl, das Gerät habe seinen eigenen kleinen Kopf. Einmal hatte es zuerst »America« von The Nice gespielt und direkt anschließend »Here Come the Nice« von den Small Faces. Niemand konnte Banks einreden, dass das Zufall war.
Ungefähr eine Meile hinter dem Drumlin klingelte Banks' Handy. Es gelang ihm, es ans Ohr zu bekommen, ohne den Rhythmus des Fahrens zu verlieren. In dieser Gegend war das Funknetz sehr unzuverlässig, und was er hörte, war schwach und abgehackt, mal klar, mal undeutlich. Er hatte das Gefühl, Winsome sei am Apparat, und er meinte die Wörter Mord und Labyrinth zu verstehen, bevor der Empfang vollständig abbrach. Mit wachsender Sorge stellte er das Handy ab, wendete am nächsten Farmtor und fuhr zurück nach Eastvale.
* 13
Mit einem schrecklichen Deja-vu-Gefühl bog Banks gegen ein Uhr nachts auf den Marktplatz und sah die Menschenmenge, die von der Polizeiabsperrung zurückgehalten wurde. Viele Schaulustige waren betrunken, waren nach der Sperrstunde aus den Pubs gewankt und hatten das Treiben am Eingang zum Labyrinth bemerkt. Ein oder zwei waren aggressiv geworden, und die Uniformierten hatten Schwierigkeiten, sie zurückzuhalten. Als der Sergeant vom Revier Banks erblickte, bat er ihn, Verstärkung zu holen. Auch wenn sie die nicht brauchten - Betrunkene verloren genauso schnell das Interesse, wie es geweckt wurde -,
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