Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
Gervaise.
»Also, Ma'am, ich dachte automatisch, sie sei angegriffen worden, speziell nach letzter Woche, deshalb lief ich schnell zu ihr. Körperlich schien sie unversehrt, aber, wie gesagt, sie war voller Blut, bleich wie der Tod und zitterte wie Espenlaub.«
»Sparen Sie uns diese Klischees, Constable, und erzählen Sie weiter«, sagte Gervaise.
»Entschuldigung, Ma'am. Ich fragte sie, was los sei, aber sie zeigte nur hinter sich, wo sie hergekommen war. Ich bat sie, mich hinzuführen, und sie erstarrte. Sie war völlig verängstigt, schüttelte den Kopf. Sie sagte, sie würde nie wieder da hineingehen. Ich fragte sie, was sie gesehen hätte, aber das konnte sie mir auch nicht sagen, auch nicht, wo es geschehen war. Irgendwann überzeugte ich sie, dass sie bei mir sicher wäre. Sie klammerte sich an mich wie ... wie ein ...« Er warf Gervaise einen kurzen Blick zu. »Sie hielt sich eng an mich und führte mich zu, na ja, wissen Sie ja.«
»In Ihren eigenen Worten, Kerrigan«, sagte Banks. »Bleiben Sie ruhig. Immer mit der Ruhe.«
»Ja, Sir.« Constable Kerrigan holte tief Luft. »Wir kamen zu der Stelle, wo die Leiche lag. Ich wusste natürlich nicht, wer es war. Das konnte man nicht sehen, so zermatscht wie das Gesicht auf den Steinen lag. Es war so viel Blut überall.«
»Haben Sie oder das Mädchen sich dem Toten genähert?«, wollte Banks wissen.
»Nein, Sir. Außer ganz am Anfang, um zu sehen, ob er noch am Leben war.«
»Hat einer von Ihnen etwas angefasst?«
»Nein, Sir. Ich wusste, dass ich mich fernhalten musste, und das Mädchen wäre sowieso nie im Leben näher drangegangen. Sie kauerte sich an die Mauer.«
»Sehr gut«, sagte Banks. »Weiter!«
»Also, das war's eigentlich, Sir. Meine Kollegen aus dem Wagen waren direkt hinter uns, und als ich hörte, dass sie hinter mir auf den Platz drängten, sagte ich ihnen, sie sollten stehen bleiben und zurück zum Revier gehen und allen Bescheid sagen, die ihnen einfallen. Vielleicht hätte ich nicht so panisch sein dürfen, aber -«
»Sie haben das genau richtig gemacht«, sagte Gervaise. »Blieben Sie so lange bei der Leiche?«
»Ja, Ma'am.«
»Und das Mädchen?«
»Blieb auch da. Sie rutschte an der Mauer runter und schlug die Hände vors Gesicht. Ich habe ihren Namen und Adresse. Chelsea Pilton. Komischer Name, fand ich. Hört sich an wie eine U-Bahn-Station, oder? Wenn Sie mich fragen, ist es total bescheuert, sein Kind nach einem Ortsteil von London zu benennen«, fügte er hinzu. »Aber das ist wohl heutzutage modern, nicht?«
»Vielen Dank für Ihre weisen Worte«, murmelte Gervaise mit geschlossenen Augen, den Knöchel ihres rechten Mittelfingers an die Stirn gedrückt.
»Vielleicht wurde sie ja nach der Fußballmannschaft benannt«, schlug Banks vor.
Gervaise warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
»Sie wohnt in der East-Side-Siedlung«, informierte sie Constable Kerrigan.
»Wo ist das Mädchen jetzt?«, wollte Gervaise wissen.
»Ich habe sie mit Constable Carruthers ins Krankenhaus geschickt, Ma'am. Stand ganz schön neben sich, das Mädchen. Ich sah keinen Sinn darin, sie dazubehalten, neben dem ... nun ja.«
»Richtig gemacht«, sagte Banks. »Im Krankenhaus weiß man, was mit ihr zu tun ist. Ich gehe davon aus, dass Carruthers die Anweisung hat, bei ihr zu bleiben, bis ein Angehöriger kommt?«
»Ja, Sir. Natürlich, Sir.«
»Hervorragend. Die Eltern?«
»Carruthers hat sie informiert. Ich denke, sie sind jetzt im Krankenhaus.«
»Wie alt ist das Mädchen?«
»Neunzehn, Sir.«
»Gute Arbeit.« Banks ging zur Tür und rief im Gang nach einem Constable. »Fahren Sie ins Krankenhaus«, sagte er, »und sorgen Sie dafür, dass Chelsea Pilton direkt in das Behandlungszentrum für sexuelle Übergriffe gebracht wird. Verstanden? Chelsea Pilton. Da wissen die, was mit ihr zu tun ist. Fragen Sie nach Shirley Wong, vielleicht hat sie Dienst. Genauer gesagt: Dr. Shirley Wong.« Das neue Behandlungszentrum, das einzige in der Western Area, war an das Krankenhaus angeschlossen. Viele sahen darin ein trauriges Zeichen der Zeit. »Und schauen Sie mal, ob Sie die Eltern aus dem Weg bekommen. Das Mädchen ist neunzehn, die Eltern müssen also bei einer Befragung oder Untersuchung nicht anwesend sein, das wäre mir lieber. Sonst könnte das Mädchen dichtmachen. Ich spreche später noch mal gesondert mit ihnen.«
»Ja,
Weitere Kostenlose Bücher