Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
Schweigepflicht zu brechen.«
»Warum suchen Sie Kirsten?«
»Sie hat vielleicht Informationen über einen Fall, an dem ich arbeite.«
»Was für ein Fall?«
Annie hätte am liebsten gesagt, darüber dürfe sie ebenfalls nicht sprechen, aber das wäre reichlich albern gewesen. Wenn sie selbst etwas preisgab, würde sie vielleicht etwas zurückbekommen. »An dem Ort, den Kirsten immer besuchte, wurde eine Frau ermordet«, sagte sie. »Wir denken nun -«
»Ach, du liebe Güte!«, sagte Dr. Henderson. »Sie glauben, er ist wieder da, nicht? Der Mörder von damals.«
Das hatte Annie überhaupt nicht sagen wollen, doch sie erkannte eine Chance, wenn sie sich vor ihrer Nase bot. »Die Möglichkeit besteht, ja«, sagte sie. »Er wurde nie gefasst.«
»Aber ich weiß trotzdem nicht, wie ich Ihnen helfen könnte.«
»Warum kam Kirsten nicht mehr zu Ihnen?«
Wieder schwieg die Ärztin, und Annie konnte beinahe die Debatte in Hendersons Kopf hören. Schließlich schienen die Pro-Argumente zu überwiegen. »Als Begründung sagte sie mir, unsere Sitzungen würden zu schmerzhaft für sie«, erklärte Henderson.
»In welcher Hinsicht?«
»Sie müssen verstehen, dass Kirsten verdrängt hatte, was ihr in jener Nacht, als sie vergewaltigt wurde, geschah. Das verursachte alle möglichen Störungen bei ihr: Depressionen, Alpträume, Panikattacken. Dazu die anderen Probleme -«
»Dass sie keinen Geschlechtsverkehr und keine Kinder haben konnte?«
»Wissen Sie das?« Henderson schien sich zu wundern.
»Ja, ein wenig weiß ich darüber Bescheid«, sagte Annie.
»Nun gut. Zusammen mit all diesen anderen Problemen, die sie hatte, nun, dann wissen Sie wohl auch bereits, dass Sie einen Selbstmordversuch unternahm. Das steht bestimmt auch in den Polizeiakten.«
»Ja«, log Annie. Warum sollte sie Dr. Henderson das Gefühl geben, zu viel verraten zu haben? Dann würde sie nur dichtmachen.
»Ich schlug eine Hypnosetherapie vor, und Kirsten war einverstanden.«
»Was war das Ziel?«
»Die Heilung natürlich. Manchmal muss man sich seinen Dämonen stellen, um sie zu vertreiben, und das funktioniert nicht, wenn man sie verdrängt.«
Annie hatte das Gefühl, durchaus zu verstehen, wovon die Therapeutin sprach. »Und, funktionierte es?«
»Nein. Wie gesagt, ich glaube, es wurde zu schmerzhaft für sie. Sie kam zu nah heran. Zuerst ging es nur langsam voran, dann erinnerte sie sich zu schnell an zu viel. Ich glaube, sie hatte das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, und bekam Panik.«
»Und die Konfrontation mit den Dämonen?«
»Das dauert«, sagte Dr. Henderson. »Man muss sich sehr gründlich vorbereiten. Man muss dazu bereit sein. Ich glaube, Kirsten war es nicht. Es wäre so gewesen, als sei man auf einer stark befahrenen Autobahn unterwegs, ohne den Führerschein gemacht zu haben.«
»Wie weit kam sie?«, fragte Annie. »Fiel ihr irgendetwas Wichtiges über den Täter ein?«
»Das war nicht der Sinn der Behandlung.«
»Das ist mir klar, aber vielleicht ein Nebenprodukt?«
»Das weiß ich nicht genau«, sagte Dr. Henderson.
»Was meinen Sie damit?«
»Bei der letzten Sitzung war Kirstens Stimme nur schwer zu verstehen, ich verstand kaum ein Wort. Als sie aus der Hypnose kam, war sie schockiert und verblüfft über das, woran sie sich erinnert hatte. Mehr als sonst.«
»Aber warum?«
»Ich weiß es nicht. Verstehen Sie nicht, was ich sagen will? Ich weiß es nicht. Sie brach überstürzt auf und kam nicht mehr wieder, teilte nur noch meiner Sekretärin mit, sie würde nicht mehr kommen.«
»Was glauben Sie denn, was geschah? Was sie so sehr erschütterte?«
Dr. Henderson überlegte wieder, dann hörte Annie, wie sie ganz leise sagte: »Ich glaube, sie erinnerte sich, wie der Täter aussah.«
»Wo sind Sie gewesen?«, fragte Murdoch. »Langsam reicht mir das hier. Ich will nach Hause.«
»Nicht mehr lange, Jamie«, sagte Banks. »Nur noch ein paar Fragen. Fangen wir mal am Anfang an. Vielleicht geht's dann schneller. Haben Sie Hayley Daniels vergewaltigt und getötet?«
»Nein! Wie sollte ich denn? Dann hätten Sie mich gesehen. Wenn man den Pub verlässt, wird man von den Kameras aufgenommen.«
Banks warf Miss Melchior einen Blick zu. Sie machte ein betretenes Gesicht, sagte aber nichts. Banks beugte sich vor und verschränkte die Hände auf dem Tisch. »Ich will
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