Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
viele Jungs nur T-Shirt und Jeans anhatten - liefen mitten im Winter von einem Pub zum anderen und trugen dabei lediglich dünne ärmellose Tops und kurze Röcke. Keine Strumpfhose. Banks hatte immer vermutet, dass sie ihren Körper zur Schau stellen wollten, aber vielleicht war es einfach praktischer so. Es war unkomplizierter, wenn man ständig unterwegs war: kein Ballast und außer der Handtasche nichts, woran man denken musste oder das man vergessen konnte. So konnte man schneller kommen und gehen, und vielleicht war diese Gleichgültigkeit gegenüber der Kälte auch ein Vorrecht der Jugend. Sie drehte den Elementen eine lange Nase.
»Von selbst kann sie diese Position nicht eingenommen haben, oder?«, fragte Banks.
»Nicht wenn sie vergewaltigt und dann erdrosselt wurde«, sagte Burns. »Dann hätte sie mit gespreizten Beinen auf dem Rücken gelegen, aber ich sehe hier keine Anzeichen von Leichenflecken.«
»Das heißt, er hat sie anschließend noch bewegt, sie auf die Seite gelegt, ihr Gesicht weggedreht, damit es ein bisschen dezenter aussieht, so als würde sie schlafen. Vielleicht hat er sie auch gesäubert.«
»Nun, dann hat er aber was übersehen, nicht wahr?«, sagte Dr. Burns und zeigte auf den glänzenden Fleck.
Der Arzt trat wieder näher an die Tote heran und stieß mit dem Kopf gegen die Glühbirne, die hin und her schwang. In der Ecke neben der Tür funkelte etwas und reflektierte das Licht, entdeckte Banks. Auf dem staubigen Steinboden lag eine Tasche aus Goldlamee mit schmalem Trageriemen. Banks hob sie vorsichtig mit Handschuhen an und öffnete sie: Lippenstift, Kompaktpuder mit Spiegel, drei Kondome, vier Benson & Hedges, ein violettes Feuerzeug von Bic und ein Streichholzheft aus dem Duck and Drake, Kosmetiktücher, Paracetamol, Nagelfeile und -knipser, ein Tampon, ein billiger Gelstift in Türkis, ein iPod Shuffle in Pink, ein Führerschein, ein ungekennzeichnetes Röhrchen mit vier weißen Pillen, auf jeder ein Krönchen, wohl Ecstasy, ein kleines Portemonnaie mit zwanzig Pfund in Scheinen und fünfundsechzig Pence in Münzen. Schließlich ein Adressbuch von William Morris mit dem Namen einer Hayley Daniels, derselbe Name, der auch neben dem Foto auf dem Führerschein stand, dazu eine Adresse in Swainshead, ein Dorf ungefähr dreißig Meilen westlich von Eastvale.
Banks notierte sich alles in seinem Block und legte die Gegenstände für die Spurensicherung zurück in die Tasche. Er rief Kevin Templeton zur Tür und wies ihn an, das Polizeirevier in Swainshead anzurufen, damit ein Constable die Eltern des Mädchens benachrichtigte. Dort sollte man veranlassen, dass sie nach Eastvale kamen und die Leiche identifizierten. Man sollte nur die notwendigsten Fakten weitergeben.
Banks warf noch einen Blick auf den verrenkten Körper des Mädchens. »Irgendwas im sexuellen Bereich?«, fragte er Dr. Burns. »Abgesehen vom Offensichtlichen.«
»Ist noch nicht sicher, aber es sieht aus, als sei sie brutal vergewaltigt worden«, sagte Burns. »Vaginal und anal. Dr. Wallace wird Ihnen mehr dazu sagen können, wenn sie das Mädchen auf den Tisch bekommt. Eins ist komisch.«
»Was denn?«
»Sie ist rasiert. Untenrum.«
»Vom Mörder?«
»Möglich, könnte sein. Aber manche Mädchen tun das ja auch ... Ich meine, habe ich wenigstens gehört. Wo normalerweise das Haar wäre, ist eine Tätowierung. Von hier aus kann man sie nicht so gut sehen, und ich will die Leiche nicht mehr als notwendig bewegen, bis die Spurensicherung ihre Arbeit getan hat. Aber es sieht so aus, als hätte sie sich das Tattoo selbst vor längerer Zeit stechen lassen. Am Knöchel ist auch eins, sehen Sie?«
»Ja.«
Dr. Burns war der zuständige Polizeiarzt, und in dieser Funktion hatte er seine Arbeit eigentlich erledigt, wenn er zum Tatort kam, die Leiche für tot erklärte und sie für den Coroner freigab. Die Obduktion wurde meistens von Dr. Wallace durchgeführt, der neuen Rechtsmedizinerin des Innenministeriums. Doch war Burns' Einschätzung schon öfter hilfreich für Banks gewesen. Wie alle Ärzte legte er sich nur ungern fest, aber manchmal konnte man ihm die eine oder andere Spekulation über Todesursache und -Zeitpunkt entlocken, die sich meistens als zutreffend herausstellte und Banks durchaus Zeit sparte. Deshalb fragte er danach.
Burns schaute auf die Uhr. »Jetzt ist es halb zehn«, sagte er. »Die Kälte verlangsamt den Rigor, und das Mädchen macht
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