Inspector Banks kehrt heim
hübsche Frau, aber ihre Haut war blass und ihre Augen vom Weinen rot unterlaufen. Sie war schwarz gekleidet. Ich nahm in ihrem geräumigen Wohnzimmer Platz, sie bot mir einen kleinen Sherry an. Sir Titus erlaubte zwar keine Kneipen in Saltaire, weil er überzeugt war, dass sie Laster, Faulheit und Verschwendung förderten, hatte jedoch keine Einwände, wenn die Einwohner zu Hause Alkohol zu sich nahmen. Es war kein Geheimnis, dass er selbst einen gut sortierten Weinkeller besaß. Jetzt aber lehnte ich ab, berief mich auf die frühe Stunde und den Umfang der Arbeit, die im Krankenhaus auf mich wartete.
Caroline Ellerby strich ihren weiten schwarzen Rock glatt und setzte sich auf das Sofa. Nachdem ich ihr mein Beileid ausgesprochen und sie höflich den Kopf geneigt hatte, kam ich auf das Anliegen zu sprechen, das mich nun schon länger beschäftigte.
»Ich muss Ihnen einige Fragen zu Richards Unfall stellen«, erklärte ich, »das heißt, wenn Sie sich in der Lage fühlen, sie zu beantworten.«
»Natürlich«, sagte sie und faltete die Hände im Schoß. »Fahren Sie bitte fort.«
»Wann haben Sie Ihren Gatten zum letzten Mal gesehen?«
»Am Abend bevor ... bevor man ihn fand.«
»War er die ganze Nacht außer Haus?«
Sie nickte.
»Aber Sie müssen doch bemerkt haben, dass er nicht da war.« Mir wurde klar, dass ich kurz davor war, sie zu beleidigen, sie vielleicht schon beleidigt hatte, aber die Angelegenheit verwirrte mich, und wenn mich etwas verwirrt, denke ich so lange darüber nach, bis ich eine Lösung finde. Ich konnte genauso wenig aus meiner Haut, wie ein Tiger sein Fell ablegen kann.
»Ich habe ein Schlafmittel genommen«, erklärte sie. »Ich wäre wohl nicht einmal aufgewacht, wenn ich in der Weberei gelegen hätte.«
Angesichts der Tatsache, dass dort zwölfhundert kraftbetriebene Webstühle standen, die gleichzeitig donnerten und klapperten, verdächtigte ich Caroline der Übertreibung, aber ich verstand, was sie sagen wollte.
»Glauben Sie mir«, fuhr sie fort, »dass ich mir seitdem große Vorwürfe mache: Hätte ich doch nur kein Schlafmittel genommen. Hätte ich doch gemerkt, dass er nicht nach Hause kam. Hätte ich doch versucht, ihn zu finden ...«
»Das hätte nichts geholfen, Caroline«, entgegnete ich. »Der Tod muss sehr schnell eingetreten sein. Sie hätten nichts ausrichten können. Es hat keinen Sinn, sich zu quälen.«
»Das ist sehr nett von Ihnen, aber trotzdem ...«
»Wann haben Sie denn bemerkt, dass Richard nicht heimgekommen war?«
»Erst als George Walker aus dem Büro es mir sagte.«
Ich überlegte, ehe ich weitersprach, denn ich wusste nicht, wie ich meine Fragen höflicher stellen sollte. »Caroline, glauben Sie mir, ich möchte Ihnen nicht unnötig weh tun oder Kummer bereiten, aber haben Sie irgendeine Vorstellung, wo Richard an dem Abend war?«
Meine Frage schien sie zu verwirren. »Wo er war? Wieso, er war im Travellers' Rest, draußen an der Otley Road.«
Jetzt war ich erstaunt. Ich meinte, Richard Ellerby gekannt zu haben, hatte aber nicht gewusst, dass er Kneipengänger war. Wir waren einfach nie auf das Thema zu sprechen gekommen. »Im Travellers' Rest? Ist er da oft gewesen?«
»Nein, nicht oft, aber hin und wieder genoss er die Atmosphäre eines guten Gasthauses. Richard behauptete, das Travellers' Rest wäre ein anständiges Lokal. Ich hatte keinen Grund, daran zu zweifeln.«
»Natürlich nicht.« Ich kannte das Haus und hatte nie etwas vernommen, was seinen Ruf verunglimpft hätte.
»Sie wirken erstaunt, Dr. Oulton.«
»Nur weil Ihr Gatte es mir gegenüber nie erwähnte.«
Caroline brachte ein kurzes Lächeln zustande. »Richard kommt aus einfachen Verhältnissen, wie Sie sicher wissen. Er hat sowohl in Bradford als auch hier in Salt-aire sehr hart gearbeitet, um die gehobene Position zu bekleiden, die er innehatte. Er glaubte fest an Samuel Smiles und seine Theorie der Selbsthilfe. Doch trotz seines persönlichen Erfolgs und Aufstiegs bildete er sich nie etwas ein. Er hat nie vergessen, woher er kommt. Richard genoss gerne die Gesellschaft seiner Kollegen in der fröhlichen Atmosphäre eines guten Gasthauses. Mehr nicht.«
Ich nickte. Das war nichts Ungewöhnliches. Ich für meinen Teil begab mich gelegentlich ins Shoulder of Mutton oben an der Bingley Road. Schließlich sollte das Dorf kein Gefängnis sein. Dennoch dämmerte mir langsam, dass
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