Inspector Banks kehrt heim
Banks' Geschmack. Zu wenig Fleisch auf den Rippen, besonders am Wochenende. Er brauchte etwas mit ein bisschen mehr Text und weniger Fotos, beispielsweise den Independent oder den Guardian.
»Ich gehe mal eben rüber und hol mir eine Zeitung«, verkündete er. »Braucht ihr noch irgendwas?«
»Du kannst froh sein, wenn noch welche da sind«, sagte seine Mutter. Sein Vater brummte nur.
Banks verstand die Antworten als Nein und machte sich auf den Weg. Im Nachbarhaus standen alle Fenster im ersten Stock offen, laut dröhnte Musik heraus. Es waren nicht Val Doonican oder die Searchers, eher Nine Inch Nails oder Metallica. Banks betrachtete das Haus. Die Eingangstür stand sperrangelweit auf, an den Fenstern hingen keine Gardinen. Ein ungepflegtes Pärchen kam heraus und trat auf den zugewachsenen Weg. Die beiden sahen aus wie Fred und Rosemary West auf Droge. Die Augen des Mannes erinnerten Banks an den Anfang von Vertigo.
»Morgen«, grüßte Banks. »Schöner Tag heute, nicht?«
Sie sahen ihn an, als sei er vom Mars - oder als kämen sie von dort. Banks zuckte mit den Schultern und ging zum Zeitungshändler auf der anderen Straßenseite. Die hinter einem Asphaltstreifen zurückgesetzte Ladenzeile hatte im Laufe der Jahre viele Veränderungen erlebt. Als seine Familie in die Siedlung gezogen war, gab es eine Imbissbude, einen Damenfrisör, einen Schlachter, ein Lebensmittelgeschäft und einen Waschsalon; jetzt fanden sich dort eine Videothek, ein Lokal namens Caesar's Taj Mahal mit Pizza und indischen Gerichten zum Mitnehmen, ein kleiner Supermarkt und ein Frisörsalon für Damen und Herren. Als Einziges geblieben waren die Imbissbude, die nun nicht nur Fish and Chips, sondern auch chinesische Gerichte zum Mitnehmen verkaufte, sowie der Zeitschriftenhändler Walker.
Banks wartete, um die vielbefahrene Straße überqueren zu können. Auf der anderen Seite standen etwas weiter unten die Ruinen der alten Kugellagerfabrik. Die Tore waren mit Ketten und Schlössern gesichert, um das Grundstück herum zog sich ein hoher, mit Stacheldraht bewehrter Zaun. Die Fabrikfenster waren mit rostigen Gittern versperrt. Trotz der Sicherheitsvorkehrungen waren die meisten Scheiben kaputt, die Fassade des geschwärzten Ziegelbaus war mit bunten Graffiti verziert.
Banks konnte sich noch an die Zeit erinnern, als in der Fabrik gearbeitet wurde: an- und abfahrende Lastwagen, heulende Sirenen und Arbeiter an der Bushaltestelle. Unter ihnen viele junge Frauen und Mädchen, die gerade erst die Schule verlassen hatten. In eine von ihnen war er verliebt gewesen. Sie hieß Mandy und stand immer mit versonnenem Blick rauchend an der Bushaltestelle, einen Schal wie einen Turban um den Kopf geschlungen. Mandy hatte blasse weiche Haut und Lippen wie Julie Christie gehabt. Banks hatte sich mit zwei Schulfreunden Darling angesehen, weil Julie Christie darin eine Nacktszene hatte. Damals waren sie erst vierzehn oder fünfzehn gewesen, aber die gelangweilte Frau im Kassenhäuschen des örtlichen Kinos hatte kaum aufgeschaut, als sie ihnen die Eintrittskarten reichte. Die Nacktszene war super gewesen, auch wenn er vom Rest des Films nicht viel verstanden hatte; er fand ihn nicht so eingängig wie Billy Liar - Geliebter Spinner, den er nur wenige Monate später sah. Einer tristen Umgebung entkommen zu wollen, das hatte er sich nur zu gut vorstellen können.
Irgendwann hatte Mandy einen Verlobungsring getragen, und wenige Wochen später hatte sie nicht mehr an der Haltestelle gestanden. Banks sah sie nie wieder. Lange Zeit blieb er zu Hause und blies Trübsal, und als er Jahre später Beggar's Banquet kaufte und Factory Girl hörte, musste er wieder an sie denken.
Banks ging in den Zeitschriftenladen. Mrs Walker bewegte sich jetzt deutlich langsamer, die Gelenke ihrer linken Hand waren geschwollen. Sah nach Arthritis aus. Unter dem Zeitschriftenständer lag immer noch ein kleiner Stapel Independent, Banks nahm sich ein Exemplar und legte es auf die Theke.
»Sie sind doch der Junge von den Banks, nicht?«, fragte Mrs Walker.
»Genau«, erwiderte er.
»Hab ich mir gedacht. Körperlich ist mit mir zwar nicht mehr viel los, aber mein Kopf funktioniert noch gut. Seit der Sache im Sommer hab ich Sie nicht mehr gesehen. Wie geht's Ihnen?«
»Gut, danke. Ich sehe, Sie halten die Stellung.«
»Mich kriegt man hier nur noch mit den Füßen zuerst raus.«
»Toll, dass Sie das noch ganz alleine
Weitere Kostenlose Bücher