Inspector Barnaby 01 Die Rätsel von Badgers Drift 02 Requiem für einen Mörder
die Haut tatsächlich aufgesprungen. Die ganze Hand sah aus und fühlte sich auch so an, als hätte jemand versucht, Reißzwecken hineinzuhämmern. Am Schluß der Szene machte er seinen Abgang. Colin kam in den Kulissen auf ihn zu.
»Dierdre meint, wir sollten das Ganze stoppen.«
Nicholas schüttelte den Kopf. »Ich kann weiterspielen. Ich weiß jetzt, wie.«
»Laß mich mal sehen.« Colin starrte die Hand an und zog scharf die Luft ein. »Damit kannst du unmöglich weitermachen.«
»Natürlich kann ich das.« Nicholas, der den Schrecken dieses plötzlichen Angriffs überwunden hatte, war nun, abgesehen von dem Schmerz, eher erleichtert, weil er endlich die Gelegenheit hatte, seine kühle Professionalität zu beweisen. Er gehörte zur Truppe. Und Truppenmitglieder marschieren weiter, ganz gleich wie.
Dierdre legte zart eine Hand auf seinen Arm und flüsterte: »Was ist passiert?«
»Seine Ringe.« Nicholas streckte die Hand aus. »Ich dachte, er hätte sie abgesetzt, aber er hat sie bloß umgedreht.«
»Zum Teufel«, murmelte Boris, der über Dierdres Schulter schaute. »Damit wirst du aber eine ganze Weile keine Geige mehr spielen können.«
»Aber wieso macht er das?« wunderte sich Dierdre, und Nicholas zuckte ahnungslos mit den Schultern.
Auf der Bühne schrie Salieri seinen Triumph heraus: »Ich füllte meinen Kopf mit goldenen Einfällen, ja! Und dieses Haus mit goldenen Möbeln«, und die ganze Bühne wurde in ein warmes Bernsteinlicht getaucht. Goldene Stühle und Tische wurden auf die Bühne getragen. Joyce Barnaby stand neben Nicholas und hielt ein dreistöckiges Kuchentablett, das gelb angestrichen war.
Nicholas nickte ihr beruhigend zu, um zu zeigen, daß er gefaßt und mutig war. Tatsächlich aber war er weder das eine noch das andere. Er war sehr aufgeregt, ziemlich besorgt und ausgesprochen wütend. Aber er bemühte sich, seinen Zorn zu unterdrücken. Die Zeit, ihn herauszulassen, würde später noch kommen. Jetzt mußte er sich zunächst mal der nächsten halben Stunde mit ihren Herausforderungen stellen. Es standen noch mehr Szenen allein mit Salieri an, aber nur eine, in der sie erneut Körperkontakt (wieder einen Handschlag) haben würden, und auf diesen Händedruck würde er vorbereitet sein. Der Mann konnte ihm ja schließlich kaum einen ernsthaften körperlichen Schaden zufügen, wenn ihm hundert Menschen dabei zusahen.
Im Publikum, während seine außergewöhnliche Tochter mit gebannter Aufmerksamkeit neben ihm saß, weiteten sich Barnabys Nüstern, und er nahm Witterung auf. Der Geruch in diesem Theater kam ihm bekannt vor. Und wie sollte es auch anders sein? Schließlich hatte er einen großen Teil seines Lebens mit diesem Geruch in seiner Nase verbracht. Ein intensiver, durchdringender Geruch, heftig und drückend. Der ganze Ort stank danach. Es war der Geruch der Gewalttätigkeit. Er zog den größten Teil seiner Aufmerksamkeit von dem Stück ab und blickte sich um. Alles war ruhig und still. Er konnte Harolds Profil sehen, das ungläubiges Vergnügen ausdrückte. Seine Frau sah einfach nur erschrocken aus. Andere saßen mit weit aufgerissenen Augen da und wagten nicht einmal zu blinzeln. Eine Frau biß sich auf ihre Unterlippe, eine andere preßte beide Fäuste gegen ihre Wangen.
Barnaby drehte langsam den Kopf. Nicht jeder Blick war nach vorn gewandt. Sergeant Troy, wachsam, sogar ängstlich, sah sich ebenfalls um.
Hinter ihnen in der letzten Reihe umklammerte ein alter Mann die Rückenlehne des Sitzes vor sich und stemmte sich dann so fest dagegen, daß es schien, als müßten die Knochen seiner Wirbelsäule in der Wand hinter der Lehne seines Stuhls einen Abdruck hinterlassen. Auf seinem Gesicht spiegelte sich eine schreckliche Vorahnung, gepaart mit dem verzweifelten Flehen um Gnade. Er wirkte wie ein Kind, das nicht weiß, was richtig oder falsch ist, aber dennoch eine harte Strafe erwartet.
Barnaby wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Bühne und damit auch dem Quell seiner Besorgnis zu. Esslyn war wie ein Besessener. Er schien unentwegt unter Strom zu stehen. Selbst wenn er sich auf den hinteren Teil der Bühne zurückgezogen hatte und dort im Schatten stand, pulsierte Energie durch ihn und um ihn herum, so als stünde er in einem Magnetfeld. Barnaby sehnte sich das Ende des Stücks herbei. Obwohl er Joyce nicht in Gefahr sah, wäre er froh gewesen, wenn man Amadeus abgebrochen hätte, damit man das, was Esslyns
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