Inspector Barnaby 03 - Ein Böses Ende
fällt da eine bedenkliche Unausgeglichenheit auf, Mr. Gamelin. Zuviel einseitige Aktivität, wie ich vermute. Ich möchte Sie ja nicht aushorchen, aber falls Sie Wert auf weltlichen Erfolg legen -«
»Ich habe weltlichen Erfolg. Und mir fehlt nichts.« Einmal abgesehen von einer Tochter. Ab, Sylvie - meine große Unausgeglichenheit. Mein Leben.
»Ich bin zu Besuch -«
»Das weiß ich alles. Ich werde Ihnen den Weg zeigen. Hier entlang, bitte.« Schon stürmte sie davon. Guy hängte sich an ihre Fersen. Sie kamen an jener Tür vorbei, hinter der er nachmittags den verrückten Jungen entdeckt hatte.
»Bleiben Sie über Nacht?«
Guy murmelte etwas von einem Hotel.
»Ausgezeichnet. Morgen müssen Sie vorbeikommen und ein paar Fläschchen auswählen, und ich werde Sie auf den richtigen Weg bringen.«
Dessen war Guy sich nicht so sicher. Der Begriff »DarmSpülung« kam ihm in den Sinn. Er fragte, woraus eine Konsultation bei ihr bestand.
»Ich beginne mit den Chakras. Durchspüle sie richtig, reinige die Nadis. Danach versuche ich, mit einem von den großen Meistern in Verbindung zu treten. Meine Meisterin ist von unschätzbarem Wert. Sie ist ein erster Chohan des siebten Strahls, müssen Sie wissen.«
»Aber Ihr Meister ist doch schon hier«, sagte Guy und bemühte sich, keine Miene zu verziehen. »Könnten wir nicht einfach ihn um Rat fragen?«
Mays Reaktion verblüffte ihn sehr. Sie schien richtiggehend irritiert zu sein. Der Rhythmus ihres selbstbewußten Gangs war kurzzeitig unterbrochen.
»Oh, das wäre mir nicht möglich. Er ist... momentan erschöpft. Ist ihm in letzter Zeit nicht allzu gutgegangen.«
»Meine Tochter hat das gar nicht erwähnt.«
»Nicht?« May war vor einer geschnitzten Holztür stehengeblieben. Sie klopfte und wartete. Und dann - als habe sie eine Antwort erhalten, die Guy nicht hören konnte - stieß sie die Tür mit den Worten auf: »Mr. Gamelin ist hier, Meister«, und scheuchte ihn hinein.
Zuerst hatte Guy den Eindruck, in einen sehr großen Raum zu treten, doch er erkannte schnell, daß dies vor allem der spärlichen Möblierung zuzuschreiben war. Das farblose, leere Zimmer erinnerte ihn an japanische Räume. Die Negation eines Raums. Zwei Kissen lagen auf dem Boden. Neben dem Fenster standen ein Wandschirm und ein Holzrahmen, in den ein farbenprächtiges Stück Seide gespannt war.
Beneidenswert grazil erhob sich ein Mann von einem der Kissen und kam auf ihn zu, um ihn zu begrüßen. Guy blickte in so faszinierende Augen, daß es eine Minute dauerte, bis er der ganzen Erscheinung seine Aufmerksamkeit schenkte. Was er sah, beruhigte ihn auf der Stelle. Langes weißes Haar, ein blaues Gewand, Sandalen - alles zielte geradezu pathetisch darauf ab, eine spirituelle Wirkung zu erzielen. Wie die Zeichnung eines miesen Künstlers. Astroth: Meister des Universums. Guy schüttelte nachdrücklich die Hand seines Gegenübers und grinste.
Der Meister bot ihm an, sich zu setzen. Etwas schwerfällig ließ er sich auf dem Kissen nieder, mit geradem Rücken, die Hände hinter sich flach auf dem Boden liegend, die Beine gespreizt ausgestreckt. Während ihm diese unbequeme Haltung zuwider war, flößte ihm die dahinterstehende Strategie gleichzeitig Respekt ein. Bestimmt verfügte Craigie über konventionellere Sitzmöbel (niemand lebte in solch einer kargen Behausung), hatte aber absichtlich alles entfernen lassen, um seinen Gast in die Defensive zu drängen. Die Fakirversion der »Sieh-mal-wer-den-höchsten-Stuhl-innehat«-Methode. Es wird schon mehr als diese Mätzchen brauchen, Craigie. Guy warf seinem Gastgeber einen ermutigenden und herausfordernden Blick zu. Craigie lächelte und schwieg beharrlich.
Das Schweigen dauerte an. Zu Anfang löste es bei Guy eine gewisse Rastlosigkeit aus. Wie gewöhnlich schlug sein Verstand Kapriolen, entwarf ausgefuchste Schachzüge, spielte die unterschiedlichsten Strategien zur Vernichtung des anderen durch. Langsam, als die Sekunden und Minuten verstrichen, legte sich seine Aufregung, und etwas anderes trat an ihre Stelle. Er konnte noch immer seine bombastische innere Stimme hören, doch gedämpft, wie Kampflärm hinter einem fernen Hügel.
Normalerweise war Stille für Guy unerträglich. Er mochte das, was er »ein bißchen Leben« nannte, mit dem er gewöhnlich »ein bißchen Lärm« meinte. In diesem Fall übte die Stille eine sonderbare Wirkung auf ihn aus. Kam ihm wie eine
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