Inspector Barnaby 03 - Ein Böses Ende
und Kleidung. Diese Meinung tat Guy auch kund.
»Selbstverständlich stimmt das. Aber es existiert eine vierte große Notwendigkeit, die wir gern vernachlässigen. Ich spreche von dem Verlangen nach Euphorie.« Er lächelte mit dem Wissen, daß das Wort für Guy eine ganz andere Bedeutung hatte. »Ich spreche von emotionaler und spiritueller Euphorie. Manchmal vermittelt das Theater uns eine Ahnung davon. Gelegentlich auch die Musik...«
»Das verstehe ich.« Guy entsann sich der vollgestopften Glasschluchten in der Stadt. Der dramatischen Riten der Durchquerung. Rauchiger Sitzungszimmer, Dolche, die unüberhörbar gezogen wurden. All das war unerhört euphorisch. »Ich begreife nicht, wie hier...« Mit einem Wedeln der Hand beendete er den Satz.
»Hier hängt unser Herz am Gebet. Außerdem haben wir uns dem Streben nach dem Guten verschrieben.«
Ein irritierender Anflug von Ironie. Guy haßte Ironie. In seinen Augen war sie eine Waffe, der sich Schwächlinge und Klugscheißer bedienten. »Sie hören sich an, als würden Sie das nicht ernst nehmen.«
»Die Herausforderung nehme ich sehr ernst. Aber nicht den Menschen. Oder nur sehr, sehr selten.«
Urplötzlich wurde Guy kalt, als wäre ihm die Quelle seines Wohlbehagens schlagartig entrissen worden. War dann die Wärme, das Verständnis, die Tatsache, daß er sein Leid einer intelligenten, zur Anteilnahme fähigen Person gestanden hatte, nur Illusion gewesen? Guy wurde zornig. Fühlte sich betrogen. »Das Streben nach dem Guten? Ich verstehe nicht ganz.«
»Nein. Abstraktionen sind immer schwer zu verstehen. Und gefährlich. Ich denke, die einfachste Möglichkeit, dies zu erklären, ist folgende: Wenn die Vorstellung, daß so etwas tatsächlich existiert... daß wir es vielleicht erfahren, spüren können ... wenn diese Vorstellung sich einmal durchgesetzt hat, dann läßt sie einen nie wieder in Ruhe.«
Guy dachte an seine alles verzehrende Liebe und verstand vollkommen.
»Wir verbringen hier natürlich viel Zeit damit zu straucheln, vom Weg abzukommen. In dieser Hinsicht unterscheiden wir uns nicht von unseren Mitmenschen.«
»Und dieses... Streben ist Ihrer Meinung nach das, was Sylvie sucht?«
»Davon ist sie momentan überzeugt. Ihre Meditationen haben ihr ein gewisses Maß an Zufriedenheit geschenkt. Aber sie ist noch sehr jung. Im Lauf unseres Lebens setzen wir viele unterschiedliche Masken auf. Und schließlich finden wir eine, die so gut paßt, daß wir sie nie mehr ablegen.«
»Ich habe nie eine Maske getragen.«
»Wirklich nicht?« Es klopfte an der Tür. Er rief: »Noch ein paar Minuten, May«, und wandte sich wieder an Guy. »Wir haben noch nicht über das eigentliche Problem, über das Erbe Ihrer Tochter gesprochen, was der eigentliche Grund für meine Einladung war.«
»Der McFadden-Treuhandfonds? Darüber spreche ich nicht mit Ihnen, Craigie.«
»Ihre Tochter will alles der Gemeinschaft vermachen.«
Guy stöhnte auf, woraufhin der Meister sich besorgt vorneigte. »Geht es Ihnen nicht gut, Mr. Gamelin?«
Guy hob das Gesicht. Seine Miene sprach Bände, verriet Benommenheit, Bestürzung. Ihm fiel die Kinnlade runter. Der Meister beobachtete diese bemitleidenswerte Reaktion und lächelte dann mit geschlossenem Mund. Nach ein paar Minuten fuhr er fort:
»Bitte, machen Sie sich keine Sorgen. Das Geld wird nicht akzeptiert werden. Wenigstens nicht in nächster Zeit. Ihre Tochter ist uns für unsere Zuneigung sehr dankbar, wie das bei Kindern, die keine Liebe erfahren haben, oftmals der Fall ist. Außerdem erinnert das Erbe sie an ihr früheres Unglücklichsein, weshalb sie den Entschluß gefaßt hat, sich davon zu befreien, wenn nicht hier, dann woanders. Ich hatte gehofft, mit Ihnen über dieses Anliegen sprechen zu können. Ich habe mich gefragt, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, mir das Vermögen pro forma zu übertragen, damit es nach außen hin so aussieht, als nähme ich es an, während es in Wirklichkeit irgendwo fest angelegt wird, vielleicht wenigstens für ein Jahr. Selbstverständlich besteht dann immer noch die Möglichkeit, daß sie das Vermögen weggeben möchte, aber laut meiner Erfahrung«, die Ironie wurde jetzt noch deutlicher, »wird sie am Ende nicht so handeln.«
Es klopfte erneut. May legte ihre Lippen an den Türrahmen. »Meister - wir werden gleich zu Abend essen.«
»Wir werden uns später noch mal über dieses Thema unterhalten, Mr.
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