Inspector Barnaby 03 - Ein Böses Ende
beruhigende Umarmung vor. Am liebsten hätte er losgelassen. Sich einfach fallen lassen. Ihm war, als habe ihm jemand eine Last von den Schultern genommen, als würden alle Bewegungen angehalten. Er verspürte das Bedürfnis, diesen bemerkenswerten Zustand in Worte zu fassen, doch die Sprache, mit der man derlei Befindlichkeiten ausdrückte, hatte er nicht gelernt, und so blieb er einfach still sitzen. Dem Anschein nach bestand kein Grund zur Eile, und unwohl fühlte er sich auch nicht mehr.
In dem Raum hing das Licht der untergehenden Sonne. Die farbenfrohe Seide sah aus, als brenne sie lichterloh. Während 'Guy den gespannten Stoff betrachtete, verstärkte sich die Intensität der sirrenden Farben. Er bildete sich fast ein, daß sie lebten und vor Energie pulsierten. Da es ihm unmöglich war, den Blick von dieser strahlenden Transformation abzuwenden, fragte er sich, ob er hypnotisiert wurde. Just in diesem Augenblick ergriff der andere Mann das Wort.
»Ich freue mich sehr, daß Sie zu Besuch kommen konnten.«
Guy faßte sich, rang darum, sich auf sein Gegenüber zu konzentrieren, was ihm nicht leichtfiel. »Ich muß Ihnen dankbar sein. Dafür, daß Sie so freundlich zu meiner Tochter sind.«
»Sie ist ein äußerst angenehmes Mädchen. Wir alle sind ganz vernarrt in Suhami.«
»Ich habe mir große Sorgen gemacht, als sie verschwand.« Regel Nummer eins: Gesteh niemals deine Schwächen ein. »Nicht daß wir uns sehr nahegestanden hätten.« Regel Nummer zwei: Und auch nicht, daß du versagt hast.
Was war denn in ihn gefahren? Das hier war sein Gegner. Die Vaterfigur, die Sylvie über alles stellte. Guy bemühte sich, seine Eifersucht, seinen Rachedurst wieder anzukurbeln. Ohne diese Emotionen kam er sich nackt, entblößt vor. Er blickte in die strahlendblauen Augen und das ruhige ausdruckslose Gesicht. Links und rechts der spitzen, geraden Nase war die Haut etwas eingefallen. Halt dich daran fest. Der Kerl ist schrottreif. Mit einem Bein im Grab. Aber wie ist es um seine Kinnlinie bestellt? Das Kinn eines Soldaten. Das Kinn eines Soldaten im Gesicht eines Mönchs. Welche Rückschlüsse konnte er daraus ziehen? Was er damit anfangen sollte, wußte Guy nicht.
»Selbst in Familien, wo die einzelnen Mitglieder einander sehr nahestehen, lösen die jungen Menschen sich. Das ist eine äußerst schmerzhafte Erfahrung.«
Da war etwas an Craigies Präsenz, vielleicht die Tatsache, daß er sich so stark auf seinen Gesprächspartner konzentrierte, das nach einer Antwort verlangte. Guy sagte: »Schmerzhaft ist noch milde ausgedrückt.«
»Wunden können heilen.«
»Ach ja, meinen Sie? Glauben Sie tatsächlich, daß das möglich ist?«
Mit gefalteten Händen beugte sich Guy nach vorn. Und begann zu reden. Ein Schwall unglücklicher Erinnerungen strömte aus seinem Mund. Ströme der Reue. Fluten von Selbstbezichtigungen. Unablässig ging das so weiter, als gäbe es kein Ende. Entsetzt und angewidert lauschte Guy seinen eigenen Worten. Welch verabscheuungswürdige Fäulnis! Und dennoch - mit was für einer Leichtigkeit alles aus ihm rausfloß! Als hätten diese Wortströme jahrelang nur darauf gewartet, ihm über die Zunge zu kommen.
Am Ende war er total erschöpft. Sein Blick suchte Craigie, dessen Blick auf den Händen ruhte. Guy versuchte in der Miene des anderen zu lesen, die er als teilnahmsvolle Distanziertheit interpretierte, aber das konnte doch gar nicht'sein. Entweder man war teilnahmsvoll oder distanziert, aber gewiß nicht beides. Und schon gar nicht gleichzeitig. Eine kurze Weile saß Guy einfach so da, bis sein Verlangen nach einer wie auch immer gearteten Reaktion unerträglich wurde. Um die passenden Worte ringend, schob er eine Rechtfertigung nach:
»Ich habe ihr alles gegeben.«
Ian Craigie nickte zustimmend. »Das ist verständlich. Aber es funktioniert natürlich nicht.«
»Wollen Sie damit sagen, daß man Liebe nicht kaufen kann? Da haben Sie ganz recht. Ansonsten gäbe es keine einsamen Millionäre.«
»Ich wollte damit sagen, daß Dinge den Menschen nicht wahre Zufriedenheit schenken können, Mr. Gamelin. Sie haben kein Leben, das müssen Sie verstehen.«
»Ah.« Guy verstand gar nichts. Letztendlich ging es doch um nichts anderes als die Anhäufung und Zurschaustellung von Dingen. Woher sollten die anderen sonst wissen, was für ein Mensch man war? Und selbst ein ganz bodenständiger Mensch brauchte ein Haus, Essen, Wärme
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