Inspector Barnaby 04 - Blutige Anfänger
etwas an, so war die vorherrschende Meinung. Der Priester, die Polizei, alle wußten Bescheid und unternahmen nichts. Der einzige Lichtblick in Liams familiärer Hölle war ein Freund. Ein älterer Junge namens Conor Neilson, der auf einem Hof in der Nähe lebte. Hanion pflegte seinen Sohn dorthin zu zerren, wenn Tiere geschlachtet wurden. Um einen Mann aus dem Jungen zu machen, wie er behauptete. Aber natürlich handelte es sich um puren Sadismus.
Conor war ein seltsames Gewächs, das da draußen im Moor gedieh. Still und zurückhaltend, ein begeisterter Leser. Wann immer Liam entwischen konnte, streiften sie durch die Natur, beobachteten Vögel und andere Tiere. Manchmal zeichnete Conor ... Pflanzen, Blumen, die Kiesel in einem Flußbett. Natürlich verachtete Liams Vater den Jungen aus ganzem Herzen, und Conors Eltern hegten wohl ähnliche Gefühle. Der entscheidende Vorfall, der einen so traumatischen Einfluß auf Liams Leben haben sollte, ereignete sich, als er fast vierzehn und Conor siebzehn war.
Es geschah an einem Abend im Frühjahr. Hanion war wieder einmal die Faust ausgerutscht. Aber diesmal mußte seine Frau ins Krankenhaus. Conors Eltern kümmerten sich derweil um Liam, der froh und erleichtert war, nicht allein bei dem Vater bleiben zu müssen. Er schlief auf einem alten Feldbett in Conors Zimmer und weinte sich jeden Abend in den Schlaf. Er sehnte sich nach seiner Mutter und hatte schreckliche Angst, sie nie mehr wiederzusehen. Schließlich nahm Conor ihn zu sich ins Bett, tröstete und streichelte ihn, küßte ihm die Tränen von den Augen. Dabei führte wohl eins zum anderen.
Liam glaubte eigensinnig und trotz aller gegenteiligen Erfahrungen in der Zukunft, daß Conor sich beim ersten Mal allein von Zuneigung und Mitleid hatte leiten lassen. Ich habe nie verstanden, warum dieser arme Teufel sich derartig eisern an eine offenkundige Fehleinschätzung geklammert hat. Aber er hatte eben kein Selbstwertgefühl und wäre nie mit der Erkenntnis fertig geworden, daß sein einziger Freund ihn in einer Notsituation ausgenutzt und hintergangen hatte. Aus lauter Zuneigung und Dankbarkeit hat Liam sich benutzen lassen. Diese gefährliche Gemeinschaft... und vor vierzig Jahren war so etwas verdammt gefährlich, besonders in besagtem sozialen Umfeld ... dauerte an. Auch als Liam wieder zu Hause lebte. Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sie entdeckt wurden.
Seine Mutter kehrte nach Hause zurück, aber Hanion trennte sich nicht von dem Mädchen aus dem Dorf, das er während ihrer Abwesenheit ins Haus genommen hatte. Und ausgerechnet sie erwischte die beiden Jungen, als sie es hinter einem Stapel Mais ganz besonders wild >trieben<. Liams Vater jagte mit der Schrotflinte hinter den beiden her und wurde danach nie wieder gesehen. Das Moor hatte ihn sich geholt, lautete die weitverbreitete Meinung. Kein Hahn hätte nach ihm gekräht, wären die beiden Jungen nicht ebenfalls verschwunden. So startete die Polizei eine halbherzige Suche ...
Die beiden Jungen flohen wie Tausende vor ihnen in die Großstadt. In diesem Fall nach Dublin. Dort sollte sich Liams Situation dramatisch verschlechtern. Es dauerte nicht lange, bis er und Conor auf dem Jugendstrich landeten. Dort stellte sich ziemlich schnell heraus, daß Liams Jugend und Schönheit ... und er war damals ein ausgesprochen schöner junger Mann ... sehr gefragt war. Conor machte sich das bald zunutze. Niemand, der den jungen Ganymed wollte, kam an ihm vorbei. Seine Forderungen waren so hoch, wie es der Markt erlaubte, dennoch erhielt Liam nur freie Kost und Logis, Kleidung und etwas Taschengeld. So ging es fast drei Jahre.
»Es mag seltsam anmuten«, sagte Max Jennings und atmete dabei tief durch, »daß Liam das so lange mitgemacht hat. Aber Conor hielt ihn auch geschickt an der langen Leine. Die Gelegenheit, daß Liam dabei andere Freunde kennenlernte, wußte Conor allerdings zu verhindern. Zur Not mit physischer Gewalt, vor der Liam panische Angst hatte.
Dann kurz vor seinem siebzehnten Geburtstag lernte Liam Hilton Conninx kennen. Vielleicht haben Sie von ihm gehört?«
Barnaby schüttelte automatisch den Kopf, obwohl ihm der Name irgendwie bekannt vorkam.
»Conninx war ein bekannter Maler ... berühmt wegen seiner ausgezeichneten Portraits ... und finanziell außerordentlich erfolgreich. Zwei seiner Bilder hängen sogar in der National Gallery in Dublin. Man nennt ihn den irischen Annigoni. Nachdem er durch
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