Inspector Barnaby 04 - Blutige Anfänger
messerscharfen Bügelfalten, marineblauer Blazer, weißes Hemd und Krawatte. Er war kaum Vierzig und wirkte schon wie ein pensionierter Oberst.
Wir stellten fest, daß wir beide in dieselbe Richtung wollten, und fingen an, uns über die Schriftstellerei zu unterhalten. Schon bei unserer ersten Begegnung war das ein Thema zwischen uns gewesen. Gerald besuchte gerade einen Kurs am Institut für Englische Literatur, und ich arbeitete ... wie damals fast jeder Werbetexter ... an meinem ersten Roman. Bevor er an der Haltestelle Kensal Green ausstieg, fragte er mich, ob wir uns nicht wiedersehen und weiterreden wollten.
Zuerst hatte ich vor abzulehnen. Übers Schreiben zu reden hielt ich nicht für sinnvoll. Die Arbeit eines Autors ist sehr einsam. Man muß es selbst ausprobieren, um das richtige Gefühl dafür zu bekommen. So wie beim Schwimmen oder Fahrradfahren auch. Aber Gerald hatte etwas an sich ... Ich war neugierig geworden. Wie soll ich es beschreiben? Ich hatte noch nie jemanden erlebt, der so unpersönlich wirkte, ständig auf der Hut zu sein schien. Jedenfalls wollte ich mehr über ihn herausfinden.
Ich habe daher vorgeschlagen, sich locker auf einen Drink zu treffen. Er war einverstanden. Das erste Mal dauerte unser Gespräch nicht länger als zwanzig Minuten. Danach haben wir uns regelmäßig getroffen. Einmal bin ich sogar zum Essen bei ihm gewesen ... in seinem völlig unpersönlichen Apartment in einem eleganten Stadthaus in der Nähe der Westminster Cathedral. Wir unterhielten uns hauptsächlich über Autoren, die wir bewunderten. Gerald sah Bücher immer von einem sehr technischen Standpunkt aus. Er schien der Meinung zu sein, man brauche Romane nur in ihre Einzelteile zu zerlegen wie einen Motor, um hinter ihr Geheimnis zu kommen. Er hat das Wesentliche nie begriffen.«
Barnaby rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Wir kommen ein wenig vom Thema ab, Mr. Jennings.«
»Ganz und gar nicht. Genau hier liegt nämlich der Kern der Sache, wie Sie gleich sehen werden. Gerald hat mir einige seiner Geschichten vorgelesen. Saft- und kraftloses Zeug, Chefinspektor. Sauber getippt. Mit einem Anfang, einem Hauptteil und dem Schluß. Und von der ersten bis zur letzten Zeile todlangweilig. Die Sache mit dem Vorlesen blieb einseitig. Ich konnte mich nie überwinden, anderen meine Texte vorzulesen. Wäre mir peinlich, geradezu affektiert vorgekommen. Ich habe mich nie mit diesen Salon-Intellektuellen anfreunden können.
Unsere zwanglosen Begegnungen fanden über einen Zeitraum von drei Monaten statt. Ich habe wiederholt Fragen gestellt. Wie man das bei neuen Bekanntschaften eben so macht. Aber Gerald hat stets nur äußerst widerwillig über sich Auskunft gegeben, mir immer bloß häppchenweise etwas über sein Leben verraten. Er war als einziges Kind inzwischen verstorbener bürgerlicher Eltern in Kent aufgewachsen, hatte ein unbedeutendes Internat besucht und als Regierungsbeamter gearbeitet. Nachdem ich das herausbekommen hatte, zweifelte ich schon an meiner Gabe, interessante Menschen von Langweilern zu unterscheiden. Denn so einen schien ich in der Tat aufgegabelt zu haben. Ich beschloß deshalb, der Bekanntschaft ein Ende zu machen.«
Troy hatte Mühe, sein Mißfallen zu verbergen. Er fand Jennings cool und arrogant. Seine Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, war jedoch nicht zu leugnen. Besonders Frauen waren dafür sicher sehr empfänglich. »Und wie hat Mr. Hadleigh das aufgenommen?« erkundigte er sich schließlich.
»Ich habe das natürlich ganz anders ausgedrückt. Ich habe behauptet, daß ich mich vorübergehend zurückziehen müsse, um mehr schreiben zu können. Immerhin hatte ich tagsüber einen Job und wenig Freizeit. Das hielt ich für eine glaubhafte Entschuldigung. Bei einem Telefongespräch habe ich es Gerald schließlich gesagt. Er hat wortlos aufgelegt.«
»Sie haben ein exzellentes Erinnerungsvermögen, wenn man bedenkt, wie lange das alles her ist, Mr. Jennings«, bemerkte Barnaby
»Das liegt an dem, was nach dem Telefonat passierte. Eine halbe Stunde später stand Gerald nämlich vor meiner Tür. Ich wollte ausgehen. Damals hatte ich gerade Ava kennengelernt und war mit ihr zum Essen verabredet. Gerald drängte sich einfach an mir vorbei in die Wohnung. Er war leichenblaß. Seine Gesichtszüge, sonst immer maskenhaft glatt und ausdruckslos, waren völlig entgleist. Er sah wie ein Wahnsinniger aus, mit wirrem Haar und unstetem Blick.
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