Inspector Barnaby 04 - Blutige Anfänger
falls sie, wie üblich, mit dem Schulbus gefahren war. Tom ebenfalls. Aber was war mit der sportlich durchtrainierten Mrs. Carter?
Brian wurde klar, wie wenig er über die häuslichen Verhältnisse der Familie wußte. Arbeitete Edies Mutter? Vielleicht war sie Opfer der Rezession und hatte ihren Job verloren?
Steckte ein solches Unglück hinter der Groteske, die, wie er vermutete, von irgend jemandem inszeniert worden war? Sollte sie dazu dienen, das schnelle Geld zu machen?
Jedenfalls wäre ein solches Motiv für Brian besser zu ertragen gewesen als böswilliger Spott.
Die Schuld, daß man überhaupt auf eine solche Idee gekommen war, mußte er sich freilich selbst zuschreiben. Zu oft hatte er entgegen seiner sonstigen Zurückhaltung die Maske des über allem erhabenen Lehrers fallen gelassen. Ein intelligentes Mädchen wie Edie mußte sofort sein Interesse bemerkt und sich vermutlich sogar damit gebrüstet haben.
Wahrscheinlich hatte Mrs. Carter nur zwei und zwei zusammengezählt und eine günstige Gelegenheit gesehen, ihr Haushaltsgeld aufzubessern.
Wenn er mit dem Schlimmsten rechnete (zum Beispiel fünfhundert Pfund), wurde ihm klar, daß die Summe nur schwer aufzutreiben war. Brian überdachte seine Möglichkeiten. Er konnte seinen Wagen irgendwo stehenlassen und die Versicherung in Anspruch nehmen. Aber Versicherungsbetrug war strafbar.
Vielleicht ließ sich das Haus weiter belasten. Seine Hypothek hatte eine Laufzeit von dreißig Jahren. Zwanzig waren noch abzuzahlen. Aber er war bisher nie mit seinen Raten in Rückstand geraten. Vielleicht erwies sich die Bank ja als großzügig und räumte ihm einen weiteren Kredit ein.
Die dritte Möglichkeit waren seine Eltern. Wenn er sie ansprach, hatte das allerdings endlose Fragen zur Folge. Und welchen Grund sollte er angeben? Bestimmt nicht Reparaturen am Haus, denn das konnte zu leicht nachgeprüft werden. Brians Eltern, ängstlich und zögernd, was die weite Welt betraf, konnten stur und verstockt sein, wenn es um ihre nächsten Verwandten ging. Trotzdem wollte er bei ihnen ein bißchen auf den Busch klopfen, um die Möglichkeiten auszuloten.
Falls alle drei Quellen versagten, blieb ihm nur die Bank, die allerdings unverschämt hohe Zinsen forderte. Aber ... Moment mal...
Was war mit Sue? Sie war ja jetzt eine richtige Autorin. Ihre Bücher würden veröffentlicht werden. Bekamen Schriftsteller nicht Vorschüsse? Das war doch ein häufiger Diskussionspunkt im Autorenkreis gewesen. Der Vorschuß für Jeffrey Archer oder Julie Burchil. Summen kursierten wie Telefonnummern. Summen, die so hoch waren, daß sie kaum auf den Scheck paßten.
Brians Atem ging schneller. Die Nerven unter seiner Haut zuckten gereizt. Er ermahnte sich, keine zu große Summe zu erhoffen. Immerhin war es Sues erstes Buch. Sie war noch keine Berühmtheit. Man mußte mal abwarten, welchen Erfolg Hector haben würde. Trotzdem, Geld würde es bringen. Und der Himmel wußte, daß sie es ihm schuldig war. Er hatte sie nicht nur all die Jahre durchgefüttert, sondern es war vor allem ihr zuzuschreiben, daß er überhaupt im Quarry Cottages gelandet war.
Brian spähte angestrengt durch den Nebel, versuchte zu erkennen, ob und wer sich hinter den Fensterscheiben bewegte. Er nahm seine beschlagene Brille ab und rieb sie am Jackenärmel trocken. Er begann mit den Zähnen zu klappern, und Feuchtigkeit tropfte von seinem Bart. Dann nieste er.
Augenblicklich wurde die Nacht von wütendem Gebell erschüttert. Und in einer geradezu unheimlichen Neuauflage des vergangenen Donnerstagabends flog die Tür des Cottage auf, und eine rahmenfüllende Gestalt trat in die erleuchtete Öffnung. Es war die Fitneß-Königin höchstpersönlich, die schrie:
»Werissenda?«
Brian ging umgehend auf Distanz, indem er einen geradezu bewundenswert eleganten Satz rückwärts machte. Dann drehte er sich um und rannte blindlings den morastigen Weg entlang, stolperte über Steine und schlitterte über zugefrorene Pfützen, während ihm feuchte Äste ins Gesicht peitschten.
Eine schrille Glocke holte Brian in die Wirklichkeit zurück. Es war Zeit, die Sicherheit der Lehrergarderobe zu verlassen und sich in das Schlachtfeld Schule zu stürzen. Im Vorübergehen warf Brian einen Blick in den Spiegel und starrte entsetzt auf sein Konterfei. Die Haare standen ihm zu Berge, die Augen quollen aus den Höhlen, die Vorderzähne hatten tiefe Abdrücke auf der
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