Inspector Barnaby 04 - Blutige Anfänger
geradezu raubtiermäßig, so als habe es ihm eine dämonische Freude bereitet, den schmalen, kindischen Körper zu besteigen, der unter ihm eingeklemmt sichtbar wurde. Von dieser Einstellung gab es gut ein halbes Dutzend mehr. Das letzte Foto war das schlimmste. Es zeigte Edie, wie sie, das Gesicht in den Händen vergraben, auf der Sofakante saß und ein Bild des Jammers abgab, während Brian splitternackt und in Erobererpose vor ihr stand.
Mit einem Aufschrei hatte er die Fotos durch einen Handstreich vom Tisch gefegt. Er erinnerte sich noch genau an den Moment, in dem das letzte Bild entstanden war. Er hatte die Hand nach ihr ausstrecken wollen, um sie zu trösten. Wie konnte eine solche Geste nur so bedrohlich wirken und damit alles verfälschen?
Dann war Sue in ihren Clogs die Treppe herunter gepoltert. Brian hatte die Fotos hastig aufgesammelt, die Ofentür aufgerissen, sie allesamt hineingestopft und zugesehen, wie sie in Flammen aufgegangen und zu grauer Asche verbrannt waren. Als Sue in die Küche kam, saß er bereits wieder auf seinem Platz am Tisch und fühlte sich, als habe ihn gerade ein Zehn-tonner überrolt.
Später, allein im Schlafzimmer, hatte Brian versucht, die Blockade aus Angst und Abscheu zu überwinden, die jeden vernünftigen Gedanken verhinderte. Was sich jedoch als erstaunlich schwierig erwies. Vermutlich hatte er bereits eine Ahnung von dem Schluß, zu dem er nach einer rationalen Einschätzung des Geschehenen unvermeidlich kommen mußte.
Und die ganze Zeit über hatte er jenen Abend in Quarry Cottages noch einmal durchlebt, sah sich durch das Objektiv der Kamera noch einmal Weinschorle trinken, wie ein liebeskranker Gockel im Carterschen Chaos herumstolzieren und seine Nacktheit schamlos zur Schau stellen.
Dabei beschäftigte ihn automatisch die Frage, wer die Fotos gemacht haben könnte. Jemand mußte sich mit oder ohne Edies Wissen ganz in der Nähe versteckt haben. Er sah die Fotos in ihrer unaussprechlichen Obszönität wieder vor sich. Das waren keine normalen Schnappschüsse. Die Fotos waren seltsam eindimensional, so als habe jemand Bilder von einem Fernsehschirm abfotografiert. Auch das Fotopapier erschien ihm irgendwie ungewöhnlich.
Brian war sich nicht recht im klaren darüber, ob die Tatsache, daß der Umschlag weder einen Brief noch eine erpresserische Forderung oder den Hinweis darauf enthalten hatte, positiv oder negativ zu bewerten war. In sämtlichen einschlägigen Krimis waren derartige Sendungen stets mit den strikten Anweisungen verbunden gewesen, in der Nähe des Telefons zu bleiben und die Polizei aus dem Spiel zu lassen.
Allerdings brauchten Brians Folterknechte letzteres kaum zu befürchten. Allein bei dem Gedanken an eine öffentliche Ermittlung spielten Brians Eingeweide verrückt. Ihm war übel, er fror, und er war wütend. Er weinte sogar in seinem Frust.
Nachdem die Tränen dann versiegt waren, beschloß er, nicht länger tatenlos herumzusitzen. Es war fast sechs Uhr abends. Mit den anderen zu Abend zu essen, fernzusehen und dann ins Bett zu gehen war unvorstellbar. Lieber griff er nach einer alten Jacke, setzte sich die Mütze mit den Ohrschützern auf, rannte hinunter, rief Mandy etwas Unverständliches zu und verschwand durch die Haustür, um sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.
Draußen empfingen ihn Nebel und Dunkelheit. Schritte hallten laut auf dem harten Asphalt wider. Andere Passanten tauchten urplötzlich aus dem Nebel auf und waren ebenso schnell wieder darin verschwunden. Die Pendler lenkten vorsichtig und im Schrittempo ihre Autos heimwärts, suchten im Schein der Nebellampen nach vertrauten Orientierungspunkten. Von den Straßenlampen am Park war nur ihr fahler, körperlos in der Luft schwebender Schein zu sehen. Die Scheibe des Mondes erinnerte an schmutziges Eis.
Brian war überrascht, wie sicher und schnell ihn seine Füße zu den Quarry Cottages trugen. Nur einmal war er gestolpert und im Rinnstein gelandet, was ihm äußerst symbolträchtig erschien.
Erst als er verschwommen die Umrisse der beiden Häuser im Nebel ausmachen konnte, verlangsamte Brian seine Schritte und näherte sich dem Bereich, wo er den Eisenzaun vermutete. Sämtliche Fenster des Carterschen Hauses waren hell erleuchtet, starrten wie viereckige, gelbe Raubtieraugen aus dem Nebel an. Das Haus daneben lag völlig im Dunkel.
Plötzlich wußte er nicht mehr, was er eigentlich wollte. Edie mußte zu Hause sein,
Weitere Kostenlose Bücher