Inspector Barnaby 04 - Blutige Anfänger
Unterlippe hinterlassen. Er sah aus wie eine Mensch gewordene, seltsame Beuteltierart im letzten Stadium des Delirium Tremens.
Brian klatschte sich hastig kaltes Wasser ins Gesicht, trocknete es mit einem Papiertuch, strich sich mit feuchten Handflächen das Haar glatt und spielte kurz mit dem Gedanken, den Unterricht ausfallen zu lassen. Aber der Wunsch, einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen, war ebenso groß wie das drängende Bedürfnis herauszufinden, was sie vorhatten.
Schließlich zwang er sich, in den Korridor hinauszutreten, den er einst so beschwingt entlanggegangen war, und schluckte mehrmals energisch das Frühstück wieder hinunter, das ihm hochzukommen drohte.
Dann stand er plötzlich vor der Tür zur Turnhalle. Durch das Drahtglasfenster im oberen Teil konnte man normalerweise die Umrisse derer erkennen, die sich dahinter versammelt hatten. Aber diesmal war nichts und niemand zu sehen. Brian ging näher und blinzelte durch die Scheibe. Noch immer nichts. Außerdem war alles unnatürlich still. In der Regel hörte er ihr Lachen und Kreischen schon von weitem. Seine Erleichterung war so groß, daß er zitterte. Dabei fiel ihm ein, daß die Sache mit der Erpressung allein seine Idee gewesen war. Vermutlich war die Fotosendung ja nichts weiter als ein übler Scherz, ein Versuch, ihm Angst einzujagen. Aber wie auch immer, jetzt schienen sie es mit der Angst zu tun bekommen zu haben. Er beschloß, sich von der Richtigkeit seiner Vermutung zu überzeugen, und stieß die Tür auf.
Alle waren sie anwesend; ganz hinten, am anderen Ende der Halle bei den Kletterstangen. Dort hockten sie im Schneidersitz wie die Helden beim Kriegsrat und machten ernste Gesichter.
Brian fiel ein, daß er einmal gesagt hatte, ein freier Raum sei das, was der Schauspieler daraus mache. In diesem Moment bestand über die Funktion des freien Raumes kein Zweifel. Er war zur Arena geworden.
Während er den mühseligen Weg über die endlose Weite der Parkettfläche antrat, wurden seine Beine bleischwer. Er marschierte tapfer weiter, aber die Distanz zwischen ihm und den anderen schien sich kaum zu verringern. Irgendwann hatte die mysteriös langsame, erniedrigende Wanderschaft ein Ende. Brian widerstand der Versuchung, sich ans Ende des harmloseren Halbkreis-Ausläufers, also neben den kleinen Bor, zu setzen, wählte lieber die direkte Konfrontation und ließ sich allein auf weiter Flur in der Mitte nieder.
Brian sollte diese Entscheidung jedoch umgehend bereuen, als ihm klar wurde, welch großen Vorteil er verspielt hatte: die Chance, aus seiner beträchtlichen Höhe von über einen Meter achtzig Körpergröße auf sie herabzusehen.
Er holte tief Luft und versuchte, aus dem dröhnenden Gedankenchaos in seinem Kopf eine knallharte, durchschlagende Eröffnung zu formulieren. Noch hatte er nicht alle eines Blickes gewürdigt, was er als weiteren Fehler erkannte. Je länger er damit wartete, desto feiger mußte er ihnen erscheinen.
»Haben Sie's endlich doch noch geschafft?« erkundigte sich Denzil.
»Ja, o ja.« Brian lachte ... oder zumindest war es seine Absicht gewesen zu lachen. Er brachte jedoch nur eine jämmerliche Parodie zustande.
Er wappnete sich gegen ihren kollektiven Blick, versuchte ihn kalt abzuschmettern, doch im letzten Moment versagten seine Nerven. Seine Augen schweiften zwanghaft zu Edies Platz, die neben ihrem Bruder saß und ihr Gesicht an seiner Schulter verborgen hatte. Die beiden rührten sich nicht.
»Also ... Rasselbande«, begann Brian und war selbst über den Mangel an Autorität in seiner Stimme erschrocken. »Worum geht's?« er probierte es mit einem tieferen Timbre.
Als niemand antwortete, fuhr er fort: »Falls das ein Witz sein soll, kann ich offengestanden nicht lachen.«
»Witz, Brian?« Denzil legte seine Stirn in Falten, so daß die Spinne auf seinem kahlrasierten Schädel zuckte. » Witz?«
»Scheint mir nicht im entferntesten witzig ... ein fünfzehnjähriges Mädchen zu vergewaltigen«, erklärte Collar.
»Vergewaltigen?« Brian wurde beinahe ohnmächtig. Er mußte sich mit den Händen auf dem Boden abstützen, um nicht umzukippen. Das Blut in seinen Ohren rauschte. Nur aufkeimende, grenzenlose Wut hielt ihn bei Bewußtsein.
»Das ist... nicht... wahr ...«
»Sie haben die Beweise doch gesehen, oder?«
»Die Fotos.«
Die Bilder hatten sich unauslöschlich in sein Bewußtsein gebrannt: ihr
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