Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
Nachrichten zu überbringen waren. Man brauchte jemand für den seelischen Beistand. Jemand, der Tee kochte, der zuhörte, während die Hinterbliebenen weinten und schrien, ihrer Trauer weitschweifig und in ständigen Wiederholungen Ausdruck verliehen oder Fotos des jüngst Verstorbenen heranschleppten. Manchmal saßen sie auch nur schweigend da, von Kummer überwältigt und völlig am Boden zerstört.
Chief Inspector Barnaby klingelte bei The Larches. Es war halb drei morgens, aber immer noch brannte im Obergeschoß ein Licht. Wie Audrey haßte auch er diesen Teil des Jobs am meisten. Und nicht nur wegen der psychischen Belastung - es konnte auch gefährlich sein. Wie bei den alten Griechen mußte der Überbringer schlechter Nachrichten mit unberechenbaren und heftigen Reaktionen rechnen. Barnaby wußte von einem Beamten, der jemanden informieren sollte, daß seine schwangere Frau von einem betrunkenen Autofahrer getötet worden war. In einem Anfall von Wut und Schmerz hatte der Mann zur ersten Waffe gegriffen, die ihm in die Finger fiel - einem Schürhaken - und damit zugeschlagen. Der Sergeant hätte beinahe ein Auge verloren.
Sobald Barnaby klingelte, setzte der Hund die Pfoten auf den Fenstersims. Diesmal bellte Shona nicht. Sie starrte nur schweigend nach draußen. Es war Vollmond, ein großer Kreis schimmernden Alabasters. Die kleine Gasse wurde von einem kalten, silbrigen Licht überflutet.
Reg öffnete die Tür. Er sah sie beide an. Starrte einen nach dem anderen mit großer Konzentration ins Gesicht. Seine ohnehin schon bleiche Haut verfärbte sich und wurde aschgrau. Er trat zur Seite, damit sie eintreten konnten.
Iris, die einen gesteppten Morgenrock über ihr Nachthemd gezogen hatte, saß kerzengerade auf dem Sofa vor dem leeren Fernsehschirm. Sie stand sofort auf, als Barnaby hereinkam. Im Gegensatz zu ihrem Mann konnte sie seine "Miene nicht deuten, und ihr verhärmtes Gesicht nahm einen erwartungsvollen Ausdruck an.
»Gibt es was Neues?«
»Ich habe leider eine schlechte Nachricht, Mrs. Brockley. Am frühen Abend wurde die Leiche einer Frau am Flughafen Heathrow gefunden...«
»Nein!«
»Es tut mir sehr leid, aber wir glauben, daß es sich um Ihre Tochter handelt.«
Langes Schweigen. Dann krümmte Iris sich plötzlich nach vorn und fing an zu heulen. Ein Geräusch, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ, unterbrochen von qualvollem Schnauben und Stöhnen. Audrey ging zu ihr und versuchte, sie zu trösten, wurde aber weggestoßen.
Reg war stehengeblieben und starrte verzweifelt um sich. Er schien nach einer dritten Person zu suchen. Vielleicht nach jemandem, der das, was so plötzlich den Tod in sein Haus gebracht hatte, für null und nichtig erklären würde.
»Es tut mir ja so leid«, wiederholte Barnaby sich.
»Was... ? Wie ist... ?«
»Sie wurde von einem Auto überfahren.«
»Sind Sie sicher?« Die Worte kamen undeutlich durch zitternde Lippen. »Ich meine, daß es Brenda ist?«
»Die Leiche ist natürlich noch nicht offiziell identifiziert worden...«
»Also dann!« rief Reg. Er war wie die Karikatur eines Oberfeldwebels mit borstigem Schnurrbart und ausdruckslos starrenden Augen in stocksteifer Paradehaltung. »Dann können Sie es doch gar nicht sicher wissen. Sie wissen es nicht, Iris. Nicht sicher.«
»Wissen es nicht?«
Es war furchtbar. Barnaby sah Hoffnung in Iris’ gequältem Gesicht aufflackern. Er sprach rasch, bevor die Hoffnung noch bestärkt wurde.
»Es ist die Person von dem Foto, das sie uns überlassen haben, Mr. Brockley. Da besteht kein Zweifel.«
In diesem Augenblick begann Iris lautlos zu schreien. Sie öffnete und schloß den Mund, was sie offensichtlich viel Kraft kostete, und verzog die Lippen zu einer wütenden Fratze.
»Sie sollten besser Ihren Arzt anrufen, Mr. Brockley«, sagte Barnaby. »Ist das Jennings?«
»Das kann man doch nicht machen. Er könnte es weitererzählen.«
»Ihre Frau braucht ein Beruhigungsmittel.« Der Chief Inspector konnte kaum glauben, daß er richtig gehört hatte. »Und ich könnte mir vorstellen, daß Sie auch Hilfe brauchen.«
Als Reg nicht antwortete, nahm Barnaby ein Adreßbuch mit Gobelineinband, das neben dem Telefonbuch lag, und öffnete es unter J. Dann unter D, wo er mehr Glück hatte. Während er wählte, fragte Sergeant Brierley die Brockleys, ob sie ihnen Tee machen sollte. Selbst in dieser Extremsituation
Weitere Kostenlose Bücher