Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
wurde. Sollte es ganz in der Nähe gestanden haben, mußte man davon ausgehen, daß da jemand bewußt Gas gegeben hatte.
Barnaby seufzte. Er ging zu dem weißen Pfeil, der auf die Ausfahrt zeigte, und starrte auf die leere Rampe. Dabei versuchte er sich die letzten Momente im Leben von Brenda Brockley vorzustellen. War sie hinter jemandem hergelaufen? Oder vor jemandem davongelaufen? Ganz eindeutig war sie von einem fahrenden Auto erwischt worden, doch war sie tatsächlich durch diesen Zusammenprall über den Buick geschleudert worden? Oder hatte vielmehr der Fahrer des Wagens sie in diese häßliche graue Mauerecke gezwängt, um Zeit zu gewinnen?
Jetzt näherten sich zwei Autos mit gemächlichen fünf Meilen pro Stunde. Barnaby trat zur Seite und beobachtete, wie sie vorbeifuhren. Man müßte ja schon ein großer Zyniker sein, überlegte er, um einen Zusammenhang zwischen dem Schneckentempo dieser beiden Autos und der Anwesenheit eines uniformierten Polizisten herzustellen.
Die nächste Station war das Hillingdon Hospital, wo Troy mit wenig Begeisterung hinfuhr. Nach einer Tasse Tee und einer längeren Wartezeit beim Sicherheitsdienst wurden die beiden Beamten ins Leichenschauhaus geführt.
Obwohl der Anblick für beide nichts Neues war, reagierten sie doch sehr unterschiedlich. Barnaby, auch wenn er es nie schaffte, völlig ungerührt zu bleiben, hatte mit den Jahren gelernt, das, was sie jetzt zu sehen bekamen, als traurig, aber unvermeidlich hinzunehmen.
Troy hingegen, der sich bis zum Alter von Fünfundzwanzig für unsterblich gehalten hatte, war immer noch nicht hundertprozentig davon überzeugt, daß auch er den unausweichlichen Weg eines jeden Menschen gehen mußte. Zwar wußte er, daß es so war, aber er konnte es sich irgendwie nicht vorstellen. Es war so, als würde ihm jemand erzählen, daß die Band Terminal Cheesecake in die Top Ten gekommen sei. Und im übrigen, so wie sich die Dinge entwickelten, in den Naturwissenschaften und so, hätte man, bevor er dran war, sicher längst irgendeinen Zaubertrank oder ein Verfahren zur Wiederbelebung entdeckt. Vielleicht könnte er sich ja auch einfrieren lassen. Reiche Leute in den USA taten das bereits. Ein Mann hatte nur seinen Kopf einfrieren lassen - in einem zylinderförmigen Behälter umgeben von Trockeneis. Troy hatte das im Fernsehen gesehen. Er sinnierte, welchen Teil von sich er, wenn er die Chance hätte, konservieren lassen würde, welcher Teil ihn und seine Mitmenschen am meisten glücklich gemacht hatte.
»Hier rüber, Sergeant.«
»Okay, Chef.«
Ihr Begleiter hatte bereits das makellose weiße Laken zurückgeschlagen. Barnaby starrte auf eine nicht mehr ganz junge Frau von fast unbeschreiblicher Häßlichkeit. Ihr Kopf lag in einem unnatürlichen Winkel zu ihrer verdrehten Schulter. Sie hatte eine große Hakennase, fast kein Kinn und einen winzigen zusammengezogenen Mund. Obwohl ihre Augen geschlossen waren, traten sie immer noch fischartig unter ihren blauen geschwollenen Lidern hervor. Ihre braunen Haare, die jetzt voller Schmutz und Splitt waren, waren kurz und sehr unattraktiv geschnitten.
Barnaby mußte plötzlich an seine eigene Tochter denken, die so schön war, daß man es kaum fassen konnte. Niemand tat so, als sei das Leben gerecht, aber hinter einer Ungerechtigkeit von diesem Ausmaß mußte eine sehr grausame Laune des Schicksals gesteckt haben. Zu welch tiefer Verzweiflung mochte ein solches Gesicht dieses arme Mädchen getrieben haben?
Als er Sergeant Troy, den er gerufen hatte, näher kommen spürte, hatte Barnaby plötzlich das Bedürfnis, Brenda Brockley vor jeglichem Kommentar zu schützen. Er warf das Laken über ihr Gesicht, so wie er vor langer Zeit einmal einer Leiche, die in einem matschigen Graben lag, den Rock über ihre Blöße gezogen hatte.
»Tut mir leid, Audrey. Ich dachte nur, weil Sie schon mal bei ihnen waren und mit ihnen geredet haben...«
»Ist schon in Ordnung, Sir.«
Es war nicht das erste Mal, daß Sergeant Brierley einen männlichen Kollegen begleitete, der irgendwelchen Leuten die am meisten gefürchtete Nachricht überbringen mußte. Nicht das erste, und zweifellos nicht das letzte Mal.
Manchmal dachte sie, daß allein ihr Erscheinen ein deutlicher Hinweis für den Grund des Besuchs sein müßte. Aus den vielen Polizeiserien im Fernsehen wußten die meisten Leute mittlerweile, daß stets ein weiblicher Beamter dabei war, wenn schlechte
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