Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
sah Iris sich sofort gezwungen, das zu tun, was sie für ihre Pflicht hielt. Irgendwie schaffte sie es bis in die Küche, doch dann stand sie einfach da und starrte blind um sich, als könne sie sich nicht erinnern, wo der Teekessel war, ganz zu schweigen vom Tee.
Shona, die längst begriffen hatte, daß alle bisherigen Regeln aufgehoben waren, lümmelte sich in einem Sessel auf einem unordentlichen Haufen Kissen herum. Als die beiden Frauen das Zimmer verließen, sprang sie herunter und folgte ihnen mit traurigem Schwanzwedeln. Und in dem Moment, als Barnaby den Hörer auflegte, fing Reg an zu argumentieren.
»Fotos sind nicht lebensecht. Für eine einwandfreie Identifizierung sollten sie jemanden nehmen, der sie gekannt hat. Versuchen Sie’s bei Mr. Marchbanks aus dem Büro. Oder bei Miss Traver aus der Personalabteilung. Die haben große Stücke auf Brenda gehalten.«
Zu seiner Schande mußte Barnaby feststellen, daß er allmählich ein wenig gereizt wurde, als ob die Weigerung dieses Mannes, den Tod seines einzigen Kindes hinzunehmen, irgendwie irrational wäre. Schließlich war eine solche Reaktion absolut nicht außergewöhnlich. Ein Schock traf unterschiedliche Menschen auf unterschiedliche Weise. Und eine der häufigsten Reaktionen war die Unfähigkeit zu glauben, daß das, was passiert war, eine Tatsache war. Und wer würde sich nicht der Wahrheit verweigern, wenn die eigene Welt plötzlich in Scherben liegt? Wie würde ich reagieren, wenn es Cully wäre? fragte sich der Chief Inspector. Und er wußte, daß es für ihn das Ende bedeuten würde.
»Setzen Sie sich doch, Mr. Brockley.«
»Ja.« Reg ging zögernd zum nächsten Sessel und fuhr mit den Fingerspitzen über eine Lehne, bevor er sich wie ein Blinder langsam auf den Sitz sinken ließ. »Was um alles in der Welt sollte Brenda denn in Heathrow gewollt haben?« sagte er fast zu sich selbst.
Darauf wußte Barnaby auch keine Antwort und fragte statt dessen, ob die Polizei jemanden benachrichtigen sollte.
»Was?«
»Eine Nachbarin? Jemand aus der Verwandtschaft?«
»Wozu?«
»Sie und Ihre Frau werden sicher ein bißchen Unterstützung brauchen, Sir.« Schweigen. »Und Hilfe, sei es auch nur in praktischen Dingen.«
»Wir leben sehr zurückgezogen.«
Es war unnötig grausam, ihn darauf hinzuweisen, daß das nicht mehr lange der Fall sein würde. Die Tatsache, daß ihre Tochter neben einem Ehepaar gewohnt hatte, das zur Zeit für reißerische Schlagzeilen sorgte, würde den Boulevardblättern wohl kaum verborgen bleiben. In kürzester Zeit würde es auf ihrer ordentlichen, mit kleinen Steinen gepflasterten Einfahrt von Journalisten und Fotografen nur so wimmeln. Barnaby überlegte, wie er die Brockleys auf diese Invasion vorbereiten könnte, ohne zu deutlich zu werden. Er fragte, ob sie nicht ein paar Tage bei Freunden bleiben wollten. Sie hätten keine Freunde, erklärte Reg dumpf.
Audrey hatte Iris wieder ins Wohnzimmer gebracht und verteilte gerade Tassen mit dampfendem Tee, da klingelte es an der Tür.
Barnaby hatte Dr. Jennings am Telefon nur erklärt, die Brockleys hätten eine sehr schlimme Nachricht erhalten, und er würde dringend gebraucht. Audrey ließ den Arzt herein und erklärte ihm im Flur, was genau passiert war. Er wirkte zutiefst schockiert, als er hereinkam, ging sofort zu Iris und begann, mit ruhiger Stimme auf sie einzureden. Schließlich konnte er sie dazu überreden aufzustehen. Mit Audreys Hilfe trug er sie mehr die Treppe hinauf, als daß er sie führte. Sobald sie fort waren, fing Barnaby an zu sprechen. Aus langjähriger Erfahrung wußte er, daß der Übergang vom Persönlichen zum Praktischen immer hart, ja sogar herzlos erscheint, egal wie lange man damit wartet. Deshalb kam er sofort zur Sache.
»Ich überlege gerade, Mr. Brockley...«
Reg reagierte nicht. Er saß still da, einen Ellbogen auf ein Knie gestützt und die Stirn auf den Handballen gelegt, als ob er seine Augen vor einer unbeschreiblichen Katastrophe abschirmen wollte.
»... ob Sie sich in der Lage fühlen, ein paar Fragen zu beantworten.«
»Worüber?«
»Nun ja, über Brenda. In einer Situation wie dieser ist Schnelligkeit von größter Bedeutung. Ihre Tochter ist möglicherweise schon seit fünf Tagen tot. Je schneller wir anfangen können, Informationen zu sammeln, um so größer ist unsere Chance, denjenigen zu finden, der diese Tragödie verursacht hat.«
Diese
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