Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
aus dem Weg zu räumen, anstatt Licht in dunkle Ecken zu werfen.
Der Mann mit dem weißen Lieferwagen rief an und erklärte mit starkem Cockney-Akzent, daß er nie etwas mit der »vermißten Mrs. H.« zu tun gehabt hätte. Sie sei ganz bestimmt nicht die Blondine gewesen, die man am Tag von Simones Verschwinden vor dem Kaufhaus Bobby’s in sein Fahrzeug hatte einsteigen sehen.
Er rief anonym unter 999 an. Offenbar wußte er nicht, daß die Nummer des Anrufers automatisch bei British Telecom auf einem Display erscheint, und war dann wütend, als darauf jemand von der Polizei bei ihm zu Hause anrief. Allerdings nicht so wütend wie seine Frau, die geglaubt hatte, er hätte an dem fraglichen Freitag in Naphill gearbeitet.
Die Nachforschungen über den möglichen Erwerb eines unauffälligen Blazers und einer kastanienbraunen Perücke am selben Tag in Causton ergaben ebenfalls nichts. Der Sache am nächsten kamen die Ermittler mit einem erdbeerfarbenen Blazer Größe 46 mit Straßknöpfen und mit Pailletten besetzten Revers, der im Laden der British Heart Foundation verkauft worden war. Schon beim Anblick dieses Teils hätte man einen Herzinfarkt bekommen können.
Im Laufe des Vormittags erhielt Barnaby einen Anruf aus dem Büro des Coroner. Man teilte ihm mit, daß der Totenschein für Alan Hollingsworth ausgestellt und seine sterblichen Überreste zur Beerdigung freigegeben seien. In Abwesenheit der Frau des Verstorbenen habe man dessen Bruder verständigt.
Es gab auch Nachrichten über Simone Hollingsworths ersten Mann, obwohl man ihn selber noch nicht aufgespürt hatte. Auch wenn er vielleicht kein so »mieser Typ« war, wie Hollingsworth ihn Patterson gegenüber beschrieben hatte, so schien sich Jimmy Atherton, geboren und mehr schlecht als recht aufgezogen in Cubitt Town, doch am liebsten unter den Bodensatz der Gesellschaft zu mischen. Laufbursche für zwielichtige Auftraggeber und Überbringer dubioser Päckchen; fliegender Händler im West End; Buchmachergehilfe; Faktotum und Türsteher eines Kasinos in der Nähe vom Golden Square; war als Straßenhändler mit einem verdächtigen Lkw unterwegs und stellte häufig ungedeckte Schecks aus.
In seinen Kreisen munkelte man, daß Jimmys Frau verrückt nach ihm gewesen war und er auch verrückt nach ihr, und beide waren verrückt nach Geld, aber er noch schlimmer. Als sich dann irgendwann ein neues Projekt auftat, das viel Gewinn und langfristiges Wachstum versprach, hatte er nicht lange gezögert. Sie hatte wahre Sturzbäche geheult, aber er war trotzdem abgehauen.
Angesichts seiner Biographie war es unglaublich, daß es dem Gauner gelungen war, das australische Konsulat davon zu überzeugen, daß er eine Bereicherung für ihr Land wäre. Und so hatte sich Atherton vor gerade mal sechs Monaten, per Quantas, auf den berühmten Sträflingsweg zu den Antipoden gemacht. Wäre das nicht so gewesen, hätte der Chief Inspector sofort eine Suche nach ihm in Gang gesetzt, denn Jimmy schien genau der Typ zu sein, der fähig war, bei einem Komplott mitzumachen, um einen Haufen Kohle aus der Exfrau rauszuholen.
Während er diesen Gedanken nachhing, fiel Barnaby plötzlich ein, was er in der Praxis von Dr. Jennings erfahren hatte. Es handelte sich um die Beschreibung der blauen Flecke an Simone Hollingsworths Armen und ihres jämmerlichen Zustands. Er nahm seine Notizen und suchte das Datum heraus, wann sie das erste Mal in der Praxis gewesen war. Am neunten März. Dann zog er eine Tastatur zu sich heran und ließ die Aussage von Sarah Lawson über den Bildschirm rollen, bis er zu folgender Stelle kam: »Simone hat noch am selben Abend angerufen und gesagt, sie würde nicht mehr mitkommen. Ich glaube, sie hatte geweint. Auf jeden Fall klang sie sehr bedrückt. Ich hatte den Eindruck, daß Alan direkt hinter ihr stand.« Das war ebenfalls Anfang März gewesen. Beide Zwischenfälle hatten also kaum mehr als eine Woche, bevor Simone die Kette bekommen hatte, stattgefunden.
Das Muster war keineswegs ungewöhnlich. Ein tyrannischer Partner versucht mit Gewalt seinen Willen durchzusetzen. Sobald ihm das gelungen ist, um welchen Preis auch immer für den anderen Partner, strahlt der Sieger und ist überaus zärtlich und großzügig. Es wird liebevoll versichert, daß so etwas nie wieder Vorkommen wird. Häufig werden Geschenke gemacht - in diesem Fall eines, das doch wohl in keinem Verhältnis zu dem winzigen Sieg stand, der errungen
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