Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
es zumindest versucht. Aber er hat auch keine Ahnung, wo sie hin ist. Behauptet er zumindest.«
»Das ist doch wirklich das dümmste, das allerdümmste...«
Barnabys Stimme bebte vor Wut über sich selbst. Es war doch bei dem Gespräch mit der Frau ganz eindeutig gewesen, daß sie irgendwie in diese Geschichte emotional verstrickt war. Und er hatte von ihrer Freundschaft zu Gray Patterson gewußt, dem Hauptverdächtigen. Er hatte gesehen, wie sie während der gesamten Vernehmung vor Nervosität gezittert hatte und wie sie vor Entsetzen in Ohnmacht fiel, als sie erfuhr, daß Hollingsworth sich nicht das Leben genommen hatte. Als sie wieder zu sich kam, hatte sie geweint.
Und trotzdem hatte er sie nicht festgenommen. Jetzt wurde deutlich, was für ein schwerwiegender Irrtum es gewesen war, noch ein oder zwei Tage abwarten zu wollen. Als eine Art Atempause hatte er es betrachtet. Zeit für Sarah Lawson, »um sich dem beruhigenden Glauben hinzugeben, daß sie nie mehr von ihnen hören würde.« Was für eine unglaubliche Fehleinschätzung. Welch himmelschreiende Hybris.
Und jetzt hatte sie den Spieß umgedreht und ihre Peiniger mit der erschreckenden Möglichkeit konfrontiert, daß sie es waren, die möglicherweise nie mehr was von ihr hören würden.
Barnaby kehrte an seinen Schreibtisch in der Einsatzzentrale zurück, um sich durch die jüngsten Informationen zu kämpfen und die Zeit bis zur Besprechung um fünf totzuschlagen. Von der Spurensicherung, die inzwischen aus Heathrow ein Fax mit den Fingerabdrücken von Brenda Brockley bekommen hatten, erhielt er die Bestätigung, daß diese nirgends in Nightingales aufgetaucht waren. Was anderes hatte er auch nicht erwartet.
Auch der Obduktionsbericht enthielt keine Überraschungen. Brenda war an einer subduralen Blutung aufgrund eines Schädelbruchs gestorben. Außerdem waren das linke Schienbein, das Becken und drei Rippen gebrochen. Dem ergänzenden Bericht der Spurensicherung zufolge stammten die Abdrücke auf ihren Beinen und ihrem Rock von der Sorte Pirelli-Reifen, wie sie sich an dem Audi-Cabriolet befanden. Das Team von Heathrow hatte sich bereits mit den Kollegen von Causton in Verbindung gesetzt und würde im Laufe der nächsten zwei Tage vorbeikommen, um Hollingsworths Wagen zu untersuchen.
Bei den Wohnungsagenturen hatte man bisher kein Glück gehabt, was ein mögliches Versteck für eine entführte Frau betraf. Allerdings hatten die Nachforschungen einige andere unerfreuliche Dinge zutage gebracht. So hatte man festgestellt, daß eine Zweizimmerwohnung in Princes Risborough für höchst unmoralische Zwecke verwendet wurde. Und in der Nähe von Causton war man auf einen Raum mit triefenden Wänden und ohne richtige Belüftung gestoßen, in dem über zwanzig asiatische Frauen und Mädchen unter übelsten Bedingungen Stofftiere herstellten und dabei den ganzen Tag Kapokstaub einatmen mußten.
Barnaby trank einen Schluck Tee, kalten Tee, dann noch mehr Tee und versuchte, nicht ständig daran zu denken, daß mittlerweile zwölf Tage vergangen waren, seit Simone in den Marktbus nach Causton gestiegen und nicht mehr zurückgekommen war. Und fast acht Tage, seit Alan Hollingsworth und Brenda Brockley gestorben waren. Er erinnerte sich daran, daß jede Ermittlung ihr eigenes Tempo hatte. Manche zum Beispiel, bei denen es keine Zeugen oder keine Spuren gab, kamen überhaupt nicht in Gang, und andere, wie die vorliegende, ertranken in einer solchen Flut unterschiedlichster Informationen, so daß wichtige Details sehr leicht übersehen werden konnten.
Er dachte daran, wie er sich neulich im Aufzug noch glücklich geschätzt hatte, für eine Weile in einer »Wolke des Nichtwissens« zu schweben. Nun versuchte er, sich nicht davon beirren zu lassen, daß diese Wolke sich offenbar inzwischen in ein Meer tiefster Ignoranz verwandelt hatte, in dem er schneller als ihm lieb war auf ein feuchtes Grab zutrieb.
Der Raum füllte sich allmählich. Punkt fünf stand der Chief Inspector auf und begann zu sprechen.
»Ich fürchte, es hat eine bedauerliche Entwicklung gegeben«, begann er und berichtete von Sarah Lawsons Verschwinden. »Ich bin mittlerweile ziemlich fest davon überzeugt, daß Lawson maßgeblich in diese Angelegenheit verstrickt ist. Sie hat gelogen, als wir sie fragten, wo sie an dem Abend war, an dem Hollingsworth starb. Andererseits schien sie völlig erschüttert, als ich ihr erklärte, daß Verdacht auf einen
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