Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
sagte gerade: »Wir können heutzutage nicht so auf den Film und besonders auf sie reagieren, wie die Leute in den dreißiger Jahren.«
»Ich versteh nicht warum.«
»Weil sie damals einfach eine phantastisch aussehende Frau am Anfang ihrer Karriere war. Jetzt ist sie eine Ikone. Und was immer Ikonen sonst noch sein mögen, sexy sind sie nicht. Findest du nicht auch, Dad?«
»Augenblick mal.« Er tat etwas Reis auf seine Gabel und probierte. »Zuwenig Muskat.«
»Tu deine Gabel nicht wieder rein, nachdem du sie im Mund hattest«, rief Joyce.
Cully fing an zu kichern, wurde aber ernst, als ihr Vater sich weigerte, ihr nachzuschenken. Es folgte eine lebhafte Diskussion, die damit endete, daß die jüngste Barnaby beschloß, sie hätte die Nase voll von dem Film, dem Abendessen und ihren Eltern und ohne Abschied in die Nacht entschwand.
* 10
Am nächsten Morgen wachte Barnaby irgendwie depremiert auf und konnte seine schlechte Laune auch nicht abschütteln. Sie klebte an ihm während seines gesamten ballaststoffreichen, niacinhaltigen und mit Obst garnierten Frühstücks, dessen gesundheitsfördernde Wirkung nach der langen, abgasreichen Fahrt im Kriechtempo auf der A412 sicher dahin wäre. Er kam zu dem Schluß, daß es vermutlich schneller ginge, wenn er aus dem Fenster springen und durch den Grand-Union-Kanal zur Arbeit schwimmen würde, der direkt neben der Straße herfloß.
Es lag natürlich auch an dem Streit gestern abend. Er bereute nicht, daß er Cully ein weiteres Glas Wein verweigert hatte. Oder daß er konsequent geblieben war, als sie anfing, verrückt zu spielen. Doch er haßte es, wenn sie eine Meinungsverschiedenheit hatten, und sei sie noch so klein. Gott sei Dank war seine Tochter, wenn sie sich auch meisterhaft auf abrupte Abgänge verstand, nicht nachtragend. Noch bevor er ins Bett gegangen war, hatte sie angerufen und gesagt, er hätte natürlich recht gehabt, sie hätte ihn lieb, und er solle den Geburtstag ihrer Mutter nicht vergessen.
Der Gedanke an seine Frau erinnerte Barnaby daran, daß er widerwillig versprochen hatte, sich ein Band anzuhören, das sie ihm vor ein paar Tagen aufgedrängt hatte. Es waren die Vier letzten Lieder von Richard Strauss. Er hatte eingewandt, ihm gefiel nur populäre klassische Musik. Joyce hatte gesagt, das sei populäre klassische Musik, und es würde außerdem höchste Zeit, daß er seinen Horizont erweiterte. Da sie wußte, daß er sich nur im Auto irgendwas komplett anhören würde, hatte sie die Kassette in die Anlage geschoben und über die Öffnung eine weiße Postkarte geklebt, auf die sie ein großes Ohr gemalt hatte.
Barnabys Liebe zu dem, was er für sich als »musikalische Musik« bezeichnete, reichte weit zurück. Als kleiner Junge hatte er sich stundenlang mit seinem Vater schwere Schellackplatten auf einem aufziehbaren Grammophon angehört, das in einem penetrant riechenden Eichenschrank stand. Wenn die Stimmen zu jaulen anfingen und flach wurden, war er immer zum Gerät geeilt, hatte die Kurbel gedreht und das Tempo beschleunigt, bis sie wieder normal sangen. Und wenn die Nadelspitze rauh und kratzig wurde, durfte er eine neue einsetzen.
•Ein großer Teil jener Lieder wurde von der Carl Rossa Opera Company dargeboten. Berühmte Stücke aus Die lustige Witwe, Die Fledermaus und Der Zigeunerbaron, großartige Musik, wunderbare Melodien, nach denen das Herz Walzer tanzen konnte. Barnaby seufzte und drückte gehorsam auf Play.
Joyceys Schüler schienen immer die ausgefallendsten Sachen aufführen zu wollen. Ab und zu war Barnaby zu Hause, wenn seine Frau gerade eine Stunde gab. Und wenn er mal kurz sein Arbeitszimmer verließ, konnte er kaum glauben, was er da hörte. Da zahlten doch tatsächlich Leute gutes Geld dafür, daß man ihnen beibrachte, wie man kreischte und falsch sang. Kein Wunder, daß sich die Katze unter dem Sofa verkroch.
Die herrliche Stimme von Kiri te Kanawa erschallte aus seinem Wagen. Der Mann in dem Fahrzeug, das neben ihm im Schneckentempo kroch, starrte herüber. Barnaby drehte die Lautstärke herunter und schloß das Fenster. Seit die Serie mit diesem opernbegeisterten Polizisten im Fernsehen lief, war er sich manchmal merkwürdig vorgekommen, wenn er mit musikalischer Begeisterung in einer Schlange oder an einer Ampel stand, als ob er sich eine Rolle anmaßen würde, die ihm gar nicht zustand.
Natürlich war das Unsinn. Schließlich wußte niemand, der
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