Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
Raum und nicht an ihrer Situation lag, denn bevor sie das Zimmer betrat, hatte sie sich ganz anders verhalten.
Als er ihr vor der Buchbinderei in den Weg getreten war, mehrmals ihren Namen genannt und gesagt hatte, daß er mit ihr reden wollte, hatte sie ihn nur kritisch betrachtet, als ob er ein völlig Fremder wäre. Schließlich hatte sie dann schlicht bemerkt: »Ach, Sie sind’s.«
Da wußte Barnaby, daß er sich geirrt hatte. Was auch immer der Grund für ihren überstürzten Aufbruch aus dem Bay Tree Cottage gewesen war, der Besuch von der Polizei war es nicht. Das brachte ihn etwas aus dem Konzept, und er hatte sich immer noch nicht ganz gefangen.
Nicht daß Sarah Lawson besonders glücklich gewesen wäre, sie zur Wache zu begleiten. Sie hatte gefragt, wie lange es dauern würde und warum sie nicht gleich an Ort und Stelle miteinander reden könnten. Und während sie widerwillig ins Auto stieg, starrte sie mehrmals die Straße auf und ab, und auch als sie losfuhren, sah sie einige Male erst aus dem einen, dann aus dem anderen Fenster, bis sie ein gutes Stück von der Innenstadt entfernt waren.
Da sie eindeutig nach jemandem Ausschau hielt, erklärte Barnaby, sie würden gern warten, wenn sie kurz eine Nachricht in der Wohnung hinterlassen wollte. Er fügte nicht hinzu, daß sie natürlich über den Inhalt dieser Nachricht informiert werden müßten. Doch das Angebot wurde ohnehin abgelehnt.
Sarah hatte höflich den Tee angenommen, den man ins Vernehmungszimmer gebracht hatte, ihn jedoch nicht angerührt. Die Vernehmung lief jetzt seit einer halben Stunde. Sarah hing mit ausdruckslosem Gesicht schlaff auf ihrem Stuhl Und bekundete ein derartiges Desinteresse an der ganzen Angelegenheit, daß Troy der Meinung war, sie könnten genausogut den Brunnen im Garten des Bay Tree Cottage befragen.
• Sie sah noch ungepflegter als beim letzten Mal aus. Ihr blaues Kleid war nicht mehr ganz sauber und immer noch feucht von vorhin, als sie zusammen im Regen gestanden hatten. Und sie war noch dünner geworden. Ihr glanzloses Haar war verfilzt und fiel in dicken Strähnen über ihre Schultern. Ihre Haut wirkte rauh und großporig, und obwohl ein kleiner, aber sehr leistungsstarker Ventilator auf dem Tisch stand, hatte sie Schweißperlen auf der Stirn. Mit ihren dünnen Fingern zupfte sie am Ausschnitt ihres Kleides und zog ihn vom Hals weg, als ob er sie am Atmen hindere. Sie sprach jetzt erst zum dritten Mal, seit sie den Raum betreten hatten.
»Können wir nicht bitte woanders reden? Ich kann nicht... Dieser Raum... Ich krieg hier keine Luft.«
»Ich fürchte, im Augenblick ist nichts anderes frei.«
Das stimmte nicht. Doch Barnaby war entschlossen, die unvermutete Schwachstelle bei dieser verstockten Verdächtigen soweit wie möglich auszunutzen.
»Wenn der formelle Teil unserer Vernehmung beendet ist, können wir in meinem Büro weiterreden«, sagte Barnaby und fügte hinzu: »Das ist im fünften Stock.«
Sie sagte nichts, doch ihre Augen, ja ihr ganzes Gesicht, leuchtete auf.
Der Chief Inspector fragte sich, ob sie ernsthaft an Klaustrophobie litt. Wenn ja, würde er sehr vorsichtig Vorgehen müssen. Ein geschickter Anwalt könnte eine Menge Pluspunkte aus einer Vernehmung herausschlagen, die unter derartigem psychologischem Stress geführt worden war.
»Wie ich bereits sagte, Miss Lawson, Sie haben das Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen, wenn...«
»Ich kenne keinen.«
»Das Gericht kann Ihnen einen Pflichtverteidiger zur Verfügung stellen.«
»Warum sollte ich so was wollen?« Und als keine Antwort erfolgte, fügte sie hinzu: »Können wir nicht einfach weitermachen ?«
»Selbstverständlich. Ich möchte zunächst noch einmal auf unser erstes Gespräch zurückkommen. Es scheint da bei den Daten eine gewisse Diskrepanz zu bestehen. Sie haben uns erzählt, sie seien am Montag, dem 10. Juni, abends in Castrato gewesen. Wir haben jedoch festgestellt, daß der Film zum letzten Mal am Samstag vorher gezeigt worden war.«
»Ach. Dann muß es an dem Tag gewesen sein. Oder irgendwann unter der Woche. Was spielt das für eine Rolle?« Sie klang nicht nur so, als wüßte sie tatsächlich nicht, was das für eine Rolle spielte, sondern es schien ihr auch egal zu sein.
»Können Sie sich denn erinnern, was Sie nun wirklich an dem Abend gemacht haben?«
»Vermutlich im Garten herumgesessen.«
Barnaby, der auf die sanfte Tour
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