Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
Sekretariat.«
Und so kam es, daß Sergeant Troy am nächsten Morgen eine Stunde früher als sonst das Haus verließ - was ihm natürlich nichts ausmachte - und über die M40 nach High Wycombe raste.
Er hatte keinerlei Erwartungen. Im Gegenteil - während er im Sekretariat an der Theke wartete, nachdem er seinen Ausweis gezeigt und erklärt hatte, was er wollte, kam ihm allmählich der Gedanke, daß das reine Zeitverschwendung war. Denn wenn Sarah Lawson bloß deshalb überstürzt abgehauen war, weil er mit dem Chef bei ihr aufgekreuzt war, dann hätte sie sich wohl kaum vorher ein Zimmer besorgt, wo sie notfalls unterschlüpfen könnte.
Ganz automatisch taxierte Troy die Frauen im Büro. Sie waren alle mittleren Alters und mit Hüften wie, nun ja, wie Nilpferde. Eine mütterlich aussehende lächelte ihn an. Troy lächelte zurück, aber ganz reuevoll, um zu verstehen zu geben, daß er die Anmache zu schätzen wisse, aber nicht im Gigolo-Gewerbe arbeite.
Die Frau, der bloß dieser Mann leid getan hatte, der aussah, als könne er mal eine ordentliche Mahlzeit vertragen, sagte irgendwas zu ihrer Kollegin, worauf beide in schallendes Gelächter ausbrachen.
Troy bemerkte das gar nicht. Sein Blick war auf die junge Frau fixiert, die sich um seine Anfrage kümmerte. Sie kam gerade zur Theke zurück. Und sie hatte tatsächlich eine Karte in der Hand.
Er ermahnte sich, sich nicht zu früh zu freuen. Es könnte sich um eine schlichte Karteikarte handeln. Die Frau würde sagen: Ist das die Miss Lawson, die Sie meinen? Bay Tree Cottage, Fawcett Green? Ich fürchte, wir haben von ihr nur diese eine Adresse. Und das wär’s dann.
»Miss Lawson hat tatsächlich bei uns wegen einer Unterkunft angefragt. Vor etwas mehr als einem Monat. Ein Cousin von ihr wollte zu Besuch aus Amerika kommen. Sie suchte für ihn ein Apartment.«
»Und haben Sie was für sie gefunden?« Troy war überrascht, wie selbstverständlich die Worte herauskamen. Tief und getragen - fast wie ein Choral. Seine Haut mochte zwar von rasch wechselnden Hitze- und Kältewallungen brennen und prickeln und sein Nacken stechen, als ob sich dort tausend Stachelschweine paarten - seiner Stimme konnte man nichts anmerken.
»Ja, das haben wir. Eine kleine Einzimmerwohnung in der Flavell Street in High Wycombe. Es gab kein Telefon, aber das schien ihr nichts auszumachen.«
»Darf ich?«
»Bitte sehr.«
Die junge Frau, die schönste, wie Troy allmählich klar wurde, die er in seinem ganzen Leben je gesehen hatte, reichte ihm einen Kuli und einen Block. Er notierte sich die Adresse. Und dann, da er ihr nicht bieten konnte, was sie eigentlich verdient hatte - den Mond und die Sterne, die Welt, ja das gesamte Universum -, bedankte er sich einfach und ging.
Kurz darauf war von draußen, direkt vor dem Sekretariat, ein lauter Schrei zu hören. Alles rannte ans Fenster. Nur wenige Meter von ihnen entfernt sahen sie auf dem Parkplatz jenen schlanken, rothaarigen, gutaussehenden Mann, der sich gerade nach der Unterkunft erkundigt hatte.
Während sie ihn beobachteten, stieß er einen weiteren Schrei aus, hob die geballten Fäuste und sprang in die Luft.
Die Wohnung in der Flavell Street 13 lag in einer belebten, aber eindeutig abgerissenen Gegend, direkt über der Sunbeam Washeteria. Der Waschsalon lag in einer kleinen Häuserzeile mit vier Läden. Dazu gehörten außerdem ein muslimisches Geschäft, das Metzgerei und Gemüsehandfang in einem war, ein Wettbüro und ein karitativer Laden zugunsten von Obdachlosen.
Man könnte meinen, daß jemand, der sich selbst oder eine andere Person verstecken will, sich eine abgelegene ' Gegend suchen sollte, viele Meilen von dem entfernt, was man in Ermangelung eines besseren Wortes Zivilisation nennt. Barnaby war jedoch ganz anderer Meinung. Wie jener Mann, der erklärt hatte, daß der beste Ort, ein Buch zu verstecken, eine Bibliothek sei, glaubte er, daß man einen Menschen am besten dort verstecken konnte, wo viele Menschen sind.
Natürlich konnte man nirgends parken. Um nicht aufzufallen, parkte Troy nicht einfach auf einer doppelten gelben Linie, sondern fuhr so lange herum, bis er einen großen freien Platz fand, der für die Klienten von Fenn Barker, Anwaltskanzlei und Notar, reserviert war. Dort stellte er den Wagen ab.
An diesem Tag schien das Wetter endlich umzuschlagen und die beiden Männer gingen unter einem düsteren Himmel zur Flavell Street
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