Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
verärgert, daß Simone schon wieder mit Fragen schikaniert worden war, und wollte das an irgendwem auslassen. »Vermutlich war sie deshalb plötzlich so nett zu Ihnen. Damit Sie nichts merkten oder so.«
»Unsinn.«
»Wir haben ihn zwar noch nicht erwischt, aber das werden wir schon.« Und dann versetzte Troy lächelnd den Gnadenstoß. »Allem Anschein nach eine sehr leidenschaftliche Affäre.«
Patterson drehte sich um und lief schnurstracks auf die Straße, auf der zum Glück kein Auto kam. Dann rannte er stolpernd und wankend über den Grasstreifen nach Hause.
Alles liegt in den Händen der Götter. Wenn Barnaby hörte, wie Straftäter während der Vernehmung oder später auf der Anklagebank jammerten, sie hätten nie im Leben Glück gehabt, hatte er nicht allzuviel Mitgefühl.
Obwohl er selbst dieses Glück gehabt hatte - liebevolle Eltern, eine stabile und glückliche Ehe, eine gesunde und intelligente Töchter - war er kaum der Typ, um darauf anzustoßen oder gar ein Dankesgebet zu sprechen. Wie die meisten Leute in dieser glücklichen Situation, nahm er das alles als Selbstverständlichkeit hin. Doch nun, wo sie in die Endphase des Falles traten, der im ersten der vielen Bücher, die darüber geschrieben werden sollten, unter dem Titel: Irrungen und Wirrungen: das geheimnisvolle Leben von Alan und Simone Hollingsworth lief, wurde dem Chief Inspector auf einmal deutlich bewußt, welche Rolle das Schicksal bei diesen Ermittlungen gespielt hatte.
Das tat es natürlich immer. Und man merkte sehr schnell, ob es für oder gegen einen war. Wäre zum Beispiel nicht jemand - und Barnaby glaubte keine Sekunde, daß dieser Jemand Sergeant Troy gewesen war - auf die schlaue Idee gekommen, bei der Wohnungsvermittlung am College nachzufragen, wäre die Wohnung in der Flavell Street wahrscheinlich nie entdeckt worden.
Oder wenn Eden Lo während der wenigen Sekunden, die Alan Hollingsworth brauchte, um seine Tasse abzustellen und wegzugehen, in eine andere Richtung geguckt hätte, wäre man möglicherweise nie auf die Verbindung mit Heathrow gekommen.
Und jetzt war der vielversprechendste Hinweis hereingeflattert. Auf den ersten Blick schien es das Übliche zu sein: eine weitere Meldung, daß Simone irgendwo gesehen worden war. Es war am Morgen nach der Beerdigung gewesen. Eine Frau mit waschechtem Cockney-Akzent rief an. Barnaby hörte am Nebenanschluß mit.
Zu dem Zeitpunkt hätte er nicht sagen können, warum dieser Anruf ihn mehr ansprach als alle anderen. Erst einige Stunden später, als sie an Ort und Stelle waren, erkannte er warum.
Ihr Name war Queenie Lambert, und sie wohnte auf der Isle of Dogs. Die Frau, deren Zeichnung sie in der Sun entdeckt hatte, habe eine Weile ihr gegenüber auf der anderen Seite des Gehwegs gewohnt. Obwohl sie die Wohnung offenbar selten verlassen hatte, wurde Mrs. Lambert zweimal auf sie aufmerksam. Einmal, als sie dem Breifträger die Tür öffnete, und dann noch mal, als sie die Blumenkästen auf dem Balkon goß.
Mrs. Lambert hörte sich an, als ob sie schon älter wäre, und Barnaby vermutete, daß sie ein etwas eingeschränktes Leben führte. Einen Großteil ihrer Zeit verbrachte sie wahrscheinlich damit zu beobachten, was die Nachbarn taten. Solche Leute, die mit ihrer Neugier anderen sicher furchtbar auf die Nerven gingen, konnten für die Polizei ein wahres Geschenk des Himmels sein.
Obwohl die beiden Detectives wie jeder andere von den umfassenden Baumaßnahmen auf den Kais und Docks von Canary Wharf gehört hatten, verschlug das gewaltige Ausmaß und die Pracht der Gebäude ihnen dennoch den Atem. Riesige Türme aus Glas und Stahl, umgeben von Schutthaufen, glitzerten in der Sonne. Bagger rollten dröhnend umher und wirbelten Staubwolken auf. Neue Apartments, die schon bald für Hundertausende Pfund verkauft werden würden, wuchsen nur wenige Meter von alten Sozialbauten aus den dreißiger Jahren in die Höhe - ehemals Wohnraum für die Armen, nun von rücksichtslosen Finanzhaien platt gemacht und mit Brettern vernagelt.
Als sie aus dem Blackwall Tunnel kamen, stieß Troy einen anerkennenden Pfiff aus, und selbst Barnaby war von der Großartigkeit dessen, was sich da selbstbewußt vor ihnen ausbreitete, beeindruckt.
Es war fast halb eins, als sie im George, Westferry Road auf ein Pint Webster’s Yorkshire Bitter und ein paar ausgezeichnete Sandwiches einkehrten. Sergeant Troy spielte lustlos eine Partie Darts.
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