Inspector Barnaby 06 - Ein sicheres Versteck
aufgeschoben werden.
»Es war Charlie!«, platzte Hetty plötzlich heraus. »Seitdem er... damit fing alles an. Was geht hier vor, Evadne? Was steckt dahinter?«
»Wenn ich das nur wüsste, meine Liebe.«
»Erst er und jetzt die arme Mrs. Lawrence. Ich hab diese Frau nie ein unfreundliches Wort gegen eine Menschenseele sagen hören. Und jetzt ist sie ...«
»Beruhige dich, Hetty.« Evadne nahm die Hand ihrer Freundin. »Wir müssen um ein weiteres Wunder beten.«
»Aber es ist so beängstigend. Was wird als nächstes passieren? Ich hab das Gefühl, als würden wir langsam an den Rand eines tiefen schwarzen Abgrunds gedrängt.«
Evadne hätte es nicht besser - oder angesichts der furchtbaren Anschaulichkeit des Bildes wohl eher nicht schlimmer -ausdrücken können. Sie wusste genau, was Hetty meinte.
Wie die meisten Bewohner von Ferne Basset war sie davon überzeugt gewesen, dass es sich bei dem Mord an Hettys Mann um einen Akt willkürlicher Gewalt gehandelt hatte. Vermutlich begangen von einer verwirrten Seele, die zu früh aus einer Heilanstalt entlassen worden war. Dieser Mann hatte im Carter's Wood geschlafen. Charlie war über ihn gestolpert, und in wilder Panik hatte sich der Verrückte auf ihn gestürzt, ihn umgebracht und war davongelaufen. Verständlich, sofern Wahnsinn das jemals ist. Das war die gängige Theorie gewesen, und jeder hatte sie bereitwillig und mit einiger Erleichterung akzeptiert. Und jetzt das. Aber war der Überfall auf Ann Lawrence nicht ebenfalls willkürlich gewesen? Jemand hatte gemeint, es sei ein Handtaschendieb gewesen. Und außerdem meilenweit von Ferne Basset entfernt. Das zeigte doch wohl, dass das Dorf nichts damit zu tun hatte.
Evadne merkte, dass sie den Ort, an dem sie so lange glücklich gewesen war, auf einmal fast wie den Schauplatz einer Geschichte betrachtete. Ein vertrauter, sonniger Hafen, zu allen Jahreszeiten schön, zu Beginn der Geschichte schützend und sicher, und dann, während die Erzählung allmählich undurchsichtiger, verworren und beunruhigend wird, verwandelt sich auch das Dorf in eine Wildnis voller unbekannter Gefahren. Sie waren wahrhaftig aufgewacht und hatten sich in einem finsteren Wald wiedergefunden, aus dem kein einziger Weg hinausführte.
»Was meinst du, Evadne?«
»Oh ...« Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie laut vor sich hin murmelte. »Eine Zeile aus einem Gedicht, die auf unsere schlimme Situation zu passen scheint.«
Hetty klang, als würde sie einen tiefen Seufzer ausstoßen, dann sagte sie: »Da ist noch etwas, das ich dir noch nicht erzählt habe.«
»Was denn, Hetty?«
»Pauline weiß es, aber die Polizei hat es anscheinend nicht weitergegeben, deshalb ...«
»Du weißt doch, dass ich nichts weitersage.«
»Offenbar hat Charlie versucht, jemanden zu erpressen.«
»Oh, mein Gott!« Evadne wurde ganz blass. »Und sie glauben, das war das Motiv?«
»Ja.«
»Dann war es also doch jemand, den er kannte.«
»Nicht bloß jemand, den er kannte, Evadne ...« Hetty fing an zu zittern. Sie schlotterte vom Kopf bis zu den in schäbigen Pantoffeln steckenden Füßen, und Candy bibberte aus Sympathie mit. »Verstehst du denn nicht? Es muss jemand sein, den wir alle kennen.«
Als die Nachricht über Ann Lawrence die Fainlights erreichte, schlichen die beiden auf Samtpfoten umeinander herum, peinlichst darauf bedacht, jeden Streit zu vermeiden.
Vor etwa einer Stunde war Valentine aus Jacksons Wohnung zurückgekommen und in sein Zimmer verschwunden, um zu arbeiten. Während Louise nervös darauf wartete, dass er wieder auftauchte, schwor sie sich, sich freundlich und verständnisvoll zu zeigen und auf keinen Fall Kritik zu üben. Das würde sie durchhalten, bis sie auszog. Und hinterher auch. Es würde keine endgültige Trennung zwischen ihr und Val geben. Er würde sie nicht entzweien.
Und außerdem geht alles irgendwann vorüber. An diesem schlichten Spruch hielt sich Louise aufrecht, während sie sich die nächste halbe Stunde abwechselnd mit der Frage quälte und tröstete, wie diese unselige Beziehung schließlich enden würde.
Vielleicht würde es Jax irgendwann zu langweilig werden. Nein, sie war ziemlich sicher, dass für ihn Empfindungen wie Interesse oder Langeweile bei dieser Affäre keine Rolle spielten. Selbst wenn er sich zu Tode langweilte, würde er die Beziehung fortsetzen, solange er davon profitierte. Valentine mochte
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