Inspector Barnaby 06 - Ein sicheres Versteck
zwar hoffen, dass er Jax etwas bedeutete, doch Louise war überzeugt, dass dieser Junge ein Herz aus Stein hatte, das von niemandem erobert werden konnte. Der Einzige, der Jax etwas bedeutete, war er selbst.
Genauso wenig konnte sie sich vorstellen, dass Val eines Tages genug von Jax haben würde. Man wurde einer Besessenheit nicht überdrüssig. Sie brannte entweder von alleine aus oder sie brannte einen aus. Aus dem gleichen Grund war es unvorstellbar, dass sich Val in jemand anderen verlieben könnte.
Louise erinnerte sich flüchtig, wie glücklich ihr Bruder während der Jahre mit Bruno McGellen gewesen war. Und wie verzweifelt er noch Monate nach dem Tod seines Partners war, wie er immer wieder all ihre schönen Stunden durchlebte, während er immer tiefer in Depressionen versank. Sie hatte befürchtet, dass er nie mehr den Willen, die Energie oder den Mut aufbringen würde, eine neue Beziehung zu beginnen.
Und nun zu erleben, wie er nach den vielen Monaten, in denen er langsam neuen Lebensmut gefasst hatte, von einer Leidenschaft ergriffen wurde, die so einseitig und riskant war, dass sie ihn schon wieder in Verzweiflung zu stürzen drohte, das brach einem das Herz.
Kam Val da herunter? Louise, die am Fenster saß, drehte ihren Kopf abrupt zur Treppe. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie seit Wochen praktisch nichts anderes tat. Entweder beobachtete sie ihren Bruder unentwegt, oder sie horchte, ob er kam.
Wenn Val fort war, horchte sie, ob er zurückkam; wenn er zu Hause war, achtete sie auf Zeichen, dass er weggehen wollte. Sie lauschte, wenn er telefonierte, und versuchte zu erraten, wer der Anrufer war. Wenn sie miteinander redeten, achtete sie genau auf seine Stimme, um seine Gefühle zu erahnen, bevor diese offenkundig wurden und sich gegen sie wandten. Zu ihrer Schande hatte sie sogar die Post ihres Bruders durchgesehen. Dabei hatte sie eine Kreditkartenabrechnung von Simpson's am Picadilly entdeckt - über einen Lederblouson der Marke American Tan, der achthundertfünfzig Pfund gekostet hatte.
Nun dachte Louise zum ersten Mal darüber nach, wie ihr Verhalten auf Val wirken könnte. Bisher hatte sie angenommen, dass er, blind von seiner wahnwitzigen Leidenschaft, nicht merkte, wie sie ihn überwachte. Wenn er es aber doch gemerkt hatte? Wie musste er sich da vorkommen. Bedrängt, das war es. Bespitzelt. Nicht in der Lage zu entkommen, wie ein Gefangener in einer Zelle mit einem kleinen Guckloch. Hilflos der Beobachtung ausgeliefert, wann immer es dem Gefängniswärter passte. Kein Wunder, dachte Louise, die plötzlich alles glasklar sah, dass er mich raushaben will.
Und sie würde nicht aufhören können, ihn zu beobachten, weil sie nicht aufhören konnte, sich Sorgen um ihn zu machen. Weil das bedeuten würde, sie hätte aufgehört, ihn zu lieben.
Und das werde ich erst tun, gelobte sie sich stumm, wenn ich im Grab liege.
Eine Bewegung auf der Straße lenkte sie ab. Ein blauer Wagen bog in die Einfahrt zum alten Pfarrhaus und hielt vor dem Eingang. Sie erkannte die beiden Männer, die ausstiegen. Es waren die zwei Polizisten, die auch gekommen waren, um sie und Val zu befragen. Louise fragte sich, was sie wohl wollten. Sie beobachtete, dass sie nicht am Haupthaus klingelten, sondern zu der Wohnung über der Garage gingen.
Louise setzte ein freundliches Gesicht auf, probierte in Gedanken mehrere geistreiche Bemerkungen aus und versuchte, ihre Stimme auf einen lockeren, freundlichen Tonfall einzustellen. Dann hörte sie Val schlurfend die Treppe herunterkommen. Vor noch nicht allzu langer Zeit hätte er schwungvoll zwei Stufen auf einmal genommen.
Als sein gesenkter Kopf in ihrem Blickfeld erschien, sagte Louise: »Hi.«
»Wartest du auf was?«
Louise ignorierte die Spitze. »Ich wollte gerade Tee machen. Möchtest du auch einen?«
»Ich hätte lieber einen richtigen Drink.«
»Okay.«
»Okay.« Val war die vorsichtige Zurückhaltung in ihrer Stimme nicht entgangen. »Meinst du, es ist noch zu hell?«
»Nein. Von mir aus kannst du dir Jack Daniels über deine Cornflakes kippen und dir, wenn Richard and Judy läuft, die Seele aus dem Leib kotzen.«
»Das klingt mehr nach dir. Ich hab mich schon gefragt, wo die wirkliche Louise hin ist.«
»Also.« Sie ging zum Getränketisch hinüber. »Was willst du?«
»Egal. Hauptsache stark.«
»Jamesons?«
»Guter Mann.« Er beobachtete, wie sie mit dem
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