Inspector Barnaby 06 - Ein sicheres Versteck
ihrem starken moschusartigen Duft. Sie hatte keinen Blick zum Haus hinüber geworfen, und niemand war herausgekommen, um sie zu hindern.
Und als Louise anrief, um sich nach Ann zu erkundigen, hatte man ihr gesagt, dass nur nahe Verwandte sie besuchen dürften. Das bedeutete nur Lionel, ein Mann, der in seiner eigenen Welt lebte und wahrscheinlich gar nicht erst auf die Idee gekommen war, Blumen mitzubringen, geschweige denn die Lieblingsblumen seiner Frau.
Während sie nun auf ihre Freundin blickte, erkannte Louise, wie unsinnig und absurd ihre Idee gewesen war. Sie hatte überhaupt nicht begriffen, wie schwer verletzt Ann tatsächlich war, sondern sich vorgestellt, wie sie vielleicht sogar während ihres Besuchs wieder zu sich käme, die Blumen sah und die Krise überwunden hatte. Oder dass sie selbst bewusstlos den berauschenden Duft der Rosen, die sie immer so liebevoll gepflegt hatte, wahrnehmen und erkennen würde.
Wie dumm von mir! schalt sich Louise und setzte sich ans Bett. Sie griff nach Anns Hand und hätte sie beinahe wieder fallen gelassen. So kalt und leblos. Und doch war Ann noch da. Was immer es sein mochte, das verschwand, wenn ein Mensch starb - ihr eigentliches Wesen, ihre »Annheit«, wenn man so wollte, war immer noch da.
Louise hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. Denn wer wusste schon, ob Ann es nicht doch hören würde. Sie überlegte sich verschiedene Sätze, doch alles klang so pathetisch. Der Tod war nur einen Atemzug entfernt, und ihr fielen nur Banalitäten ein, wie man sie jeden Tag in den Seifenopern im Fernsehen hören konnte. »Ich bin hier, Ann, ich, Louise. Kannst du mich hören? Wir denken alle an dich. Alle sind ganz traurig und schicken dir viele Grüße. Es wird alles wieder gut.« (Letzteres sicher ein klassischer Fall von äußerst unrealistischem Optimismus.)
Am Ende sagte Louise gar nichts. Sie küsste Ann nur auf die Wange, drückte sanft ihre Hand und versuchte sich nicht vorzustellen, was sich unter den Verbänden befand.
Jax hatte das getan. Das war eine Tatsache. Sie hatte ihn abhauen sehen. Das heißt, mit dem Rad davonrasen. Aber Val hatte gesagt, das wäre unmöglich. Dass er mit Jax zusammengewesen wäre, als sich das Verbrechen ereignete. Es konnte nicht wahr sein. Er würde doch wohl nicht lügen, um diesen Mann zu decken - zumindest nicht bei etwas so Furchtbarem?
War es möglich, dass sie sich geirrt hatte? Louise schloss die Augen und vergegenwärtigte sich noch einmal den Moment, als sie gerade die Autotür hatte öffnen wollen, sah noch einmal die dunkle Gestalt herannahen und an ihr vorbeischießen. Es war alles mit einer blitzartigen Geschwindigkeit geschehen. Trotzdem war sie sich so sicher gewesen.
Vielleicht lag es daran, dass sie gerade an Jax gedacht hatte. Das war ziemlich wahrscheinlich. Derzeit schien sie kaum an etwas anderes zu denken. Konnte es sein, dass sich in ihrer Phantasie sein Gesicht und das des vorbeirasenden Radfahrers überlagert hatten? Das Gehirn kann einem Streiche spielen, einen täuschen und betrügen. Wir alle glauben das, was wir glauben wollen.
Die pneumatisch dicht schließende Tür wurde mit einem Zischen aufgestoßen. Eine entschuldigend lächelnde Krankenschwester erklärte, sie müssten sich jetzt um Mrs. Lawrence kümmern.
Louise entfernte sich einige Schritte vom Bett und zeigte auf ihre Blumen. »Könnte bitte jemand ...«
»Wir werden sie ins Wasser stellen, keine Sorge.« Dann fügte sie ziemlich verlegen hinzu: »Wir haben Mr. Lawrence über den Zustand seiner Frau informiert. Ich frag mich, ob zwischen den beiden vielleicht... irgendwas ... nicht stimmt?«
»Wie bitte?« Louise wirkte vollkommen verblüfft.
»Aus irgendeinem Grund hat er sie bisher noch nicht besucht. Nicht mal angerufen.«
Als sie auf dem Weg nach Ferne Basset wieder durch Causton fuhr, spürte Louise, dass sie noch nicht zurück nach Hause konnte. Sie fühlte sich nicht in der Lage, so kurz nachdem sie Ann gesehen hatte, Val gegenüberzutreten. Sie würde es nicht schaffen, ihre falsche Miene aufzusetzen und Sorge um die Zukunft jener Kreatur auszudrücken, die ihrer beider Leben zerstörte. Und sie bezweifelte auch, dass es ihr gelingen würde, ihren Zorn über das Verhalten von Lionel Lawrence zu verbergen.
Da es gerade ein Uhr war, beschloss sie, in der Stadt zu Mittag zu essen. Instinktiv mied sie das Parkhaus und stellte ihren gelben Seicento in einer
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