Inspector Barnaby 06 - Ein sicheres Versteck
Jackson, der in einer fleckigen Jeans und einer ärmellosen Weste dasaß und sich eine Scheibe verbrannten Toast mit Marmite bestrich. Seine nackten Füße lagen auf dem Tisch. Von Lionel war nichts zu sehen.
Hetty drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Haus postwendend wieder. Als sie über die Einfahrt zurückgehen wollte, bemerkte sie, dass sich am Fenster der Bibliothek etwas bewegte. Sie ging hinüber, stützte die Hände auf den Sims und schaute hinein. Wie sie später Pauline gegenüber beteuerte, hatte sie gar nicht die Absicht herumzuspionieren, und das entsprach vermutlich auch der Wahrheit. Ebenso wahr war, dass sie sich sehnlichst wünschte, sie wäre einfach weitergegangen.
Der Reverend stand über Mrs. Lawrences Schreibtisch gebeugt. Überall lagen Briefe verstreut. Während Hetty ihn beobachtete, riss er gerade einen weiteren Umschlag, der schon geöffnet gewesen war, auseinander, weil er offenbar nicht schnell genug an den Inhalt herankommen konnte. Eine Sekunde starrte er wütend auf das Blatt Papier, dann landete es bei den anderen auf dem Fußboden. Keuchend hielt er einen Augenblick inne, dann begann er wie wild an einer kleinen Schublade im Schreibtischaufsatz zu zerren, die sich offenbar nicht öffnen ließ.
Hetty beobachtete die Szene verblüfft und schockiert zugleich. Das Gesicht des Reverend, das von Furcht und unverhohlener Gier verzerrt und ganz rot vor Anstrengung war, war kaum wieder zu erkennen. Er stemmte seinen Fuß gegen ein Bein des Schreibtischs und riss nun mit beiden Händen mit aller Gewalt an der Schublade. Hetty lief weg.
In dem Moment kam Jackson in die Bibliothek spaziert. Er lehnte sich an den Türpfosten. Seine dunkelblauen Augen funkelten vor Aufregung, ein freundliches Lächeln umspielte seine Lippen.
»Das kann man ja nicht mit ansehen, Lionel.«
Lionel, der mittlerweile vor Wut heulte, sah aus, als würde er gleich explodieren.
»Warte.« Jackson schlenderte zu Lionel hinüber und legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm. »Wenn du schon anderer Leute Eigentum aufbrechen musst...«
»Das verstehst du nicht!«, brüllte Lionel.
Jackson drehte sein Gesicht von der säuerlichen Weinfahne und dem stinkenden ungewaschenen Körper weg. In diesen Dingen war er sehr empfindlich.
»Und hör auf zu brüllen. Sonst kommt gleich das halbe Dorf angerannt.«
»Für dich ist das ja alles gut und schön ...« Lionel versuchte mit wenig Erfolg, seine Stimme zu dämpfen. »Aber was soll aus mir werden? Wo soll ich hin?«
»Du weißt doch noch nicht mal, ob Mrs. L ein Testament gemacht hat.« Jacksons Griff lockerte sich ein wenig. »In dem Fall hast du doch als ihre legale bessere Hälfte gut lachen.«
Lionel stieß einen durchdringenden Schrei aus. »Ich hab geglaubt, ich wär hier sicher.«
»Hör auf«, sagte Jackson. Er klang ruhig und nicht unfreundlich, bloß ein bisschen genervt, wie ein Vater, der von den Wutanfällen seines geliebten Kindes die Nase voll hat. »Ich mach das.«
Lionel ließ die Schublade los und starrte ihn an. Jackson zog ein Messer aus seiner Jeans. Ein Klicken, und die kurze, schmale Klinge sprang blitzend heraus. Er schob sie hinter das Schloss, drehte einmal kräftig, und die Schublade sprang auf. Sie war voller Papiere.
Lionel riss sie an sich und fing an zu lesen. Jackson konnte im Briefkopf Friend's Provident erkennen, die beiden Worte durch eine blaue Rose getrennt. Nach wenigen Minuten hatte Lionel sämtliche Papiere durchgewühlt und sie ebenfalls auf die Erde geworfen.
»Das hat alles mit ihrem Treuhandvermögen zu tun.« Er war den Tränen nahe und rang nach Luft. »Damit war sie immer so knickrig, Jax. Ich wollte, dass sie eine kleine Wohnung kauft, um jungen Leuten, die sich bemühen, ein neues Leben anzufangen, für eine Zeitlang ein Zuhause zu geben. Leuten wie dir. Doch da war sie unerbittlich. Es gibt so viel Egoismus auf dieser Welt, so viel Geiz, findest du nicht?«
»Du solltest nicht so illoyal ihr gegenüber sein, Lionel. Ich habe Mrs. L immer für einen sehr aufrichtigen Menschen gehalten.« Das Testament war vermutlich bei ihrem Anwalt hinterlegt. Oder bei der Bank. »Ich glaube, du musst erst mal frühstücken. Dann geht's dir ein bisschen besser.«
»Ich hab keinen Hunger.«
»Außerdem solltest du dich ein bisschen frisch machen. Heute Morgen hat das Krankenhaus zwar mitgeteilt, es gebe >keine Veränderung<, aber bis Mittag
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