Inspector Barnaby 06 - Ein sicheres Versteck
ich kann es nicht ertragen ... nein ... nein ....«
Dieses verzweifelte Gemurmel wurde von qualvollen pfeifenden Atemzügen unterbrochen. Er hörte sich an, als hätte er einen Asthmaanfall. Louise wartete völlig niedergeschmettert darauf, dass dieser Wahnsinn vorübergehen würde. Es war nur ein schwacher Trost zu wissen, dass das alles nichts mit ihr zu tun hatte. Kurz bevor sie das Zimmer verließ, riss er das Fernglas mit einem kurzen Aufschrei hoch und ließ es genauso schnell wieder fallen. Seine Schultern sackten enttäuscht nach unten.
Louise zog sich in die Küche zurück. Während sie Tee machte und sich dabei fragte, wem sie sich bloß in ihrer schwierigen Situation anvertrauen könnte, wurde ihr erschreckend klar, dass es nun, wo Ann nicht da war, niemanden gab. Seit sie in Ferne Basset lebten, hatten sie und Val sich immer gegenseitig genügt. Diese Zurückgezogenheit war gut und schön, solange keiner von beiden Hilfe von außen brauchte. Sie überlegte, ob sie ihren Hausarzt anrufen sollte, verwarf den Gedanken aber sogleich wieder. Was hatte das für einen Sinn? Der Mann würde kaum einen Hausbesuch machen, bloß weil jemand völlig verzweifelt war und unsinniges Zeug brabbelte. Und falls er doch kam, wie würde Val reagieren? So von Sinnen wie er war, schien er durchaus in der Lage, den Arzt die Treppe hinunterzuwerfen und selbst gleich hinterher zu springen.
Was mochte nur passiert sein, seit sie sich gestern Abend getrennt hatten, das ihn in einen so jämmerlichen Zustand versetzt hatte? Dass das Jaxs Werk war, daran hatte sie keinen Zweifel. Sie fragte sich, ob sie es wagen konnte, Val danach zu fragen, entschied sich aber rasch dagegen. Nicht weil sie Angst vor seiner Reaktion hatte, sondern weil sie fürchtete, er könnte ihr die Wahrheit sagen.
Erst als sie mit dem Tee zurückkam und Val sie mit Furcht erregenden Augen konfus ansah, fiel ihr wieder ein, dass heute die Beerdigung von Charlie Leathers war.
Im Red Lion hatte man Strohhalme gezogen, um festzulegen, wer das Lokal vertreten sollte, in dem Charlie so viele erbärmliche Stunden damit verbracht hatte, den fröhlichen Gästen die Lust an ihrem Bier zu nehmen.
Das naheliegende Opfer, der Wirt persönlich, war nicht bereit, das Pub im Stich zu lassen, was ihm niemand verdenken konnte. Damit blieben fünf Stammgäste übrig, die aus verschiedenen Gründen eine Minute, nachdem der Vorschlag gemacht worden war, immer noch da waren. Einer war auf der Toilette gewesen und zwei hatten Billard gespielt. Also hatten sie den Vorschlag gar nicht mitbekommen. Ein weiterer, ein ehemaliger Schauspieler, versuchte gerade Colleen anzumachen, die Frau hinter der Bar, und der letzte, Harry (Ginger) Nuttings, hatte seit dem Krieg ein Holzbein und schaffte es deshalb nicht rechtzeitig bis zur Tür. Harry war derjenige, der den kurzen Strohhalm zog.
Er versprach hoch und heilig, am nämlichen Tag Punkt elf Uhr in der Kirche St. Thomas in Torment zu erscheinen, tat es aber nicht. Am Mittag erklärte er dann den Kumpels im Pub - nachdem er, statt die Strafe für seine Abwesenheit zu zahlen, einen doppelten Whisky Mac, ein Gebräu aus Scotch und Ingwerwein, in sich hineingekippt hatte -, er hatte wie immer nach dem Frühstück ein Nickerchen gemacht und dazu sein Bein abgeschnallt. Als er dann wach wurde, hatte er feststellen müssen, dass das Bein unters Bett gerollt war. Bis er es mühsam darunter hervorgeholt hatte, wäre der Leichenwagen bereits am Kirchentor vorbeigefahren, und er hatte ihnen allen keine Schande machen wollen, indem er zu spät kam.
»Muss ja eine kleine Trauergesellschaft gewesen sein«, sagte der ehemalige Schauspieler.
Und das dachte auch Louise, als sie in diskretem Abstand von der Familie und ein ganzes Stück vom Rand des Grabes entfernt stand, jener kalten Grenzlinie des Todes. Sie trug kein Schwarz, obwohl ihr Kleiderschrank voller schwarzer Sachen war, denn sie hatte das Gefühl, dass eine solche Geste angesichts ihrer oberflächlichen Beziehung zu dem Verstorbenen absolut unangemessen gewesen wäre.
Louise wünschte, sie wäre nicht gekommen. Sie hatte jetzt das Gefühl, dass Hetty Leathers sie nur aus Höflichkeit darum gebeten hatte und genauso überrascht war wie sie selbst, dass sie tatsächlich gekommen war. Außerdem hatte sie Valentine nur ungern alleine gelassen. Als sie durch den überdachten Eingang den Friedhof betrat, hatte sie sich noch einmal umgedreht und gesehen,
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