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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Tommys Jackentasche hervorlugen, denn die Jacke hing dem Jungen auf den schmalen Schultern wie ein altes Leben, das er nicht abstreifen konnte.
    Jury blickte auf seine Uhr und zückte ein paar Geldscheine. «Also los, wenn du fertig bist; ich nehme dich mit in den Pub. Ich muß mich dort mit meinem Sergeant treffen.»
    «Mich, Sir? Aber die lassen mich, glaube ich, nicht rein. Ich bin noch nicht volljährig.»
    «Das deichseln wir schon.» Das blasse Gesicht leuchtete auf und erinnerte Jury an die Trennwände aus Reispapier. Das Licht hinter ihnen verwandelte die Umrisse auf magische Weise. Er nickte. Jury setzte hinzu: «Da du dich der Polizei zur Verfügung halten mußt, kam mir der Gedanke, du solltest zumindest heute nacht noch in London bleiben. Vielleicht brauche ich dich auch noch für eine Fahrt nach Northamptonshire.»
    Northants oder China, Tommy Diver war alles recht. Hauptsache, es war nicht Gravesend. «Jawohl, Sir . Sie meinen, ich soll bei Ruby bleiben?»
    «Nein, ich hatte etwas anderes im Sinn, wo es dir vielleicht besser gefällt. Ich kenne da jemanden mit einer Wohnung.»
    «Ist es ein Polizist?»
    «Das bildet sie sich sicherlich ein.»

24
    M OLLOY POLIERTE G LÄSER und blickte Tommy Diver mißtrauisch an.
    «Er ist älter, als er aussieht, Molloy», sagte Jury und hielt Ausschau nach Wiggins.
    Tommy steckte sich einen Kaugummi in den Mund, bestellte einen Zitronensaft und starrte nun seinerseits Molloy an.
    Jack Krael war an seinem gewohnten Platz an der Bar und fixierte seinen Fixpunkt im All; Wiggins saß in dem mit Teepäckchen dekorierten Alkoven. Er kam zur Bar und sah von Tommy zu Jury, so als hätte hier jemand das Jugendschutzgesetz nicht im Kopf.
    «Ich glaube, Marsh war nicht allzu glücklich, daß Sie solchen Dampf wegen der Autopsie machen. Die haben sich doch schon mit den Fotos kein Bein ausgerissen. Sergeant Marsh hat gesagt, er bringe sie höchstpersönlich vorbei. Ich glaube, er mag mich nicht; konnte nur recht und schlecht eine Tasse Tee aus ihm herausschlagen. Ist das ein Wind, da vom Fluß her. Nicht die leiseste Ahnung, wieso sich jemand freiwillig zur Flußpolizei meldet. Man muß ein sehr guter Schwimmer sein.» Wiggins erschauerte, griff sich an den Hals und verkündete, der Aufenthalt auf den Wapping Old Stairs habe ihm wohl eine Halsentzündung eingetragen. Er nahm die Tasse, die Molloy vor ihm absetzte, und griff zu seiner Packung Kohlekekse.
    Tommy sah zu, wie er einen davon ins Wasser bröselte und meinte: «Verkokeiter Toast tut’s doch auch.» Dazu blubberte er geräuschvoll mit seinem Strohhalm.
    Die Tasse verharrte auf halbem Wege in der Luft, während Wiggins auf Tommy herunterstarrte. «Was?»
    «Würde Sie auch keine achtzig Pence kosten, wie das Zeugs da.» Tommy stupste die Zellophanpackung an. «Sie halten das Brot einfach ins Feuer und lassen es verkokeln. Ist genau dasselbe. Was nehmen Sie denn so gegen Halsschmerzen?»
    Wiggins legte Geld für einen weiteren Zitronensaft auf die Theke und sagte: «Kampferöl. Einen schönen, heißen Umschlag.»
    Tommy zuckte die Achseln. «Versuchen Sie’s mal mit einer alten Socke. Hauptsache, sie ist voller Fußschweiß – richtig schön schmutzig. Die Socke hilft allemal. Danke schön.» Er nahm seinen Saft in Empfang.
    Wiggins, der eine unerwartete Quelle aufgetan hatte, zog Tommy beiseite, weil es ihm einfach nicht in den Kopf wollte, daß eine bakterienverseuchte Socke Heilkräfte besitzen könnte.
    Jury nutzte die Gelegenheit, um Jack Krael in seinen Meditationen zu stören. «Sehen Sie sich das bitte mal an.» Und er zeigte ihm das Foto von Simon und Hannah Lean.
    «Derselbe Typ wie aufm anderen Foto», sagte Krael achselzuckend.
    «Und die Frau?»
    Jack Krael blickte jetzt genauer hin, nahm das Foto in die knotigen Finger und runzelte die Stirn. «Sieht aus wie Sadie Diver. Bloß, wenn ich die gesehn hab, war se immer aufgeputzt wie ’n Weihnachtsbaum. Was hatse denn bei dem da verlorn?»
    «Meinen Sie eher so?» Jury legte Tommys Schnappschuß von Sadie Diver neben das andere Foto. Bunt, auffallend und herausfordernd. Genug Rouge und blauer Lidschatten für sämtliche Streifen am Abendhimmel. Haare wie dunkle, hochgetürmte Wolken.
    Jack Krael überlegte. «Das is sie; das is Sadie. Komisch, wie ’ne Frisur und das ganze Zeugs, wo sich die Weiber ins Gesicht schmiern, den Menschen verändern kann. Die da sieht dünner aus.» Er schnippte mit dem Daumennagel nach Hannahs Bild. Dann betrachtete er Tommy.

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