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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Wunde, die ihn hervorgerufen hatte, niemals verheilen. Jury warf ein paar Münzen so heftig in den Schlitz, daß der Tisch erbebte. «Ich kann’s dir nachfühlen. Ich war auch mal in so einem Heim. Eiserne Pritschen, schlechtes Essen, kalte Flure. Vier Jahre lang. Das war nach dem Tod meiner Mutter.»
    Robbie achtete plötzlich nicht mehr auf das pulsierende Monster, das sie zum Spielen einlud, sondern zog seine alte Brieftasche hervor und zeigte Jury ein Foto. «M-Mutter.»
    Das Bild zeigte drei junge Frauen, die untergehakt nebeneinander standen. Robbies Finger deutete auf die mittlere. Sie hatte blondes Haar mit einer frischen Dauerwelle darin und lächelte keck in die Kamera.
    «Sie war hübsch.» Jury gab das Bild zurück, starrte gedankenverloren auf das kleine Monster und fügte hinzu: «Meine war auch hübsch.»
     
    Nell Hornsby verkündete die Sperrstunde. Jury trug die Gläser zurück zur Bar.
    «Es klingt vielleicht albern», sagte Nell, «aber manchmal denk ich, der Junge ist der glücklichste von uns allen.» Sie kippte den Rest ihres Brandys hinunter.
    «Darauf würde ich keinen Eid schwören», sagte Jury, bevor er zur Tür hinausging.
     

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6
    Es schlug Mittag in der «Hammerschmiede», und der mechanische Schmied draußen hoch oben auf dem Balken begann seinen Hammer auf und ab zu bewegen. Der hölzerne Gesell sah ziemlich schmuck aus in seiner frisch gestrichenen Kluft – der blauen Hose und der Jacke, die ebenso blaugrün leuchtete wie der grelle Anstrich, den Dick Scroggs, der Wirt, kürzlich zwischen Gebälk und Flügelfenster geklatscht hatte. Auf der Hauptstraße von Long Piddleton, ohnehin schon ein farbenfrohes Sammelsurium von eng aneinandergedrängten Wohnhäusern und Geschäften, erstrahlte die «Hammerschmiede» als auffälligster Farbtupfer in der Wintersonne.
    Die Gäste drinnen waren genauso kunterbunt zusammengewürfelt. Eine Frau und zwei Männer saßen an einem Tisch in der Nähe eines lustig prasselnden Kaminfeuers. Zwei von ihnen waren von Hause aus millionenschwer; der dritte verkaufte Antiquitäten an Touristen – mit demselben Ergebnis. Letzterer gab mit seinem lavendelfarbenen Halstuch und der jadegrünen Sobranie-Zigarette ein passendes Gegenstück zu dem Schmied draußen auf seinem Balken ab, wenn auch freilich kein ganz so hölzernes. Nicht weniger schillernd – jedoch mehr im übertragenen Sinn – war die alte Frau am Kamin, die zahnlos vor sich hin brabbelte und Gin in sich hineinkippte. Ab und zu putzte sie für Dick Scroggs. Wenn ihr nicht nach Putzen zumute war, unterhielt sie sich mit der steinernen Katze neben dem Kamin und versoff ihren Lohn.
    «Glauben Sie, Scroggs’ Verschönerungswut wird sich jemals wieder legen?» fragte Marshall Trueblood, dem der Antiquitätenladen nebenan gehörte. Er betrachtete kritisch den polierten Zinn- und Messingtinnef und die erst kürzlich aufgehängten Jagdvogeldrucke, bevor er eine weitere Balkan Sobranie – diesmal eine zartviolette – in eine lange Zigarettenspitze steckte.
    Melrose Plant fand es ziemlich unangebracht, diese Frage ausgerechnet aus Truebloods Mund zu hören, aber er war zu höflich, dies auch zu äußern. Für ihn war Trueblood eher ein Spektakel als eine Person. Er konzentrierte sich weiter auf sein Times -Kreuzworträtsel und nahm gelegentlich einen Schluck aus seinem Krug Old Peculier.
    «Ach, ich weiß nicht. Mir gefällt’s eigentlich ganz gut», sagte Vivian Rivington. «Früher war es so eine düstere alte Höhle. Und seit die ‹Büchse der Pandora› geschlossen ist, können wir doch froh sein –»
    Marshall Trueblood schloß gequält die Augen. «Oh, hör bitte auf, so leutselig zu sein, Darling. Ich finde das ermüdend. Lieber Gott, schau dir doch nur den alten Scroggs an – neuerdings trägt er sogar einen Mittelscheitel und klatscht sich das Haar mit irgendeiner scheußlichen Pomade an den Schädel. Und jetzt kocht er auch noch!» Er nippte an seinem Campari Limone.
    «Mir gefällt’s trotzdem. Wenn man keine Lust hat, selbst zu kochen, kann man jetzt hier eine Kleinigkeit essen …»
    Trueblood ließ Zigarettenasche in einen blechernen Aschenbecher fallen. «Wenn man richtig essen gehen will, Darling, dann fährt man nach London.»
    «Was bist du nur für ein Snob», sagte Vivian trocken.
    «Jemand muß ja diese Rolle übernehmen. Sieh dir Melrose an, der von Rechts wegen ein Snob sein sollte und statt dessen so ekelhaft gleichmacherisch denkt. Der

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