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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Lebensstil eines Gentleman, Darling» – dieses «Darling» galt Melrose – «ist mit dem Empire untergegangen.»
    Melrose vermutete, daß mit Empire der Möbelstil und nicht der Kolonialismus gemeint war.
    «Sie gehören einer aussterbenden Rasse an, Melrose. Und ich finde es mit Verlaub gesagt langweilig von Ihnen – von euch beiden –, daß Sie so kurz vor Weihnachten verreisen wollen. Und ausgerechnet nach Durham ! In die Nähe von Newcastle! Wo jede Menge besoffenes, grölendes Pack die Straßen unsicher macht, randaliert und bei Fußballspielen mit Bierflaschen um sich schmeißt. Außerdem schneit es dort.»
    «Hier schneit es doch auch. Erinnern Sie sich? Dieses weiße Zeug, das heute morgen vom Himmel rieselte», sagte Plant, während er in einem Zug zwei Waagrechte und drei Senkrechte ausfüllte.
    «Ich rede von echtem Schnee, Darling. Tonnen von Schnee. Berge von Schnee. Solche Schneemassen kennt man hier gar nicht. – Was ist los, Vivvie? Du siehst ein bißchen blaß aus.»
    Ihr Gesicht wirkte im Schein des Feuers tatsächlich kreidebleich. «Dieses ganze Gerede über Schnee erinnert mich an die starken Schneefälle, die wir vor ein paar Jahren hatten. Und an die Morde damals.» Sie wandte sich an Melrose. «Hast du eigentlich in letzter Zeit etwas von Superintendent Jury gehört, Melrose?»
    Kennt ihn seit Jahren und bekommt seinen Vornamen immer noch nicht über die Lippen, dachte Plant. Wahrt immer hübsch die Form, die Dame. «Meistens nur telefonisch. Jury hat wohl nicht viel Zeit zum Briefeschreiben.»
    Trueblood schlug mit der Hand auf den Tisch, daß die Gläser klirrten. «Na, das war doch mal ein absolut hinreißender Mann! Ich hab ein- oder zweimal bei ihm vorbeigeschaut, als ich in London war. Aber er ist einfach nie zu Hause. Bringen wir doch jemanden um und holen ihn wieder her …» Er drehte sich nach der alten Frau am Kamin um. «Withers, du altes Schlachtschiff», rief er, «würdest du dich gegen lebenslange Versorgung mit Gin und Wermut eventuell kaltmachen lassen?» Er wandte sich wieder seinen Tischgenossen zu. «Wie wär’s mit ’ner Zigarette?» Er hielt den anderen seine schwarze Schachtel mit Sobranies hin.
    «Danke ergebenst, aber ich rauche keine Buntstifte», sagte Melrose und zog eine dünne Zigarre hervor.
    Der Klang des magischen Wortes «Gin» hatte Mrs. Withersby aus ihrer Aschenbrödel-Haltung auffahren lassen und ihre geselligen Instinkte geweckt. Sie raffte sich auf und kam in ihren Pantoffeln zum Tisch herübergeschlurft. Mrs. Withersbys Vorstellungen von Geselligkeit entsprachen jedoch nicht ganz den feineren Umgangsregeln. Sie hielt Trueblood fordernd ihr Glas vor die Nase und sagte: «Gin mit Bier, Süßer. Dein Tuntenpalast wird eines schönen Tages noch total ausgeräubert, wenn du immer hier rumhockst.» Sie wies mit dem Daumen in Richtung von Truebloods Antiquitätenladen. Dann wandte sie sich Melrose Plant zu, der ihr bereits drei Drinks spendiert hatte, und ihr verschrumpeltes Gesicht mit den dünnen bläulichen Lippen verzog sich zu einem Grinsen.
    «Eins muß man dem da ja lassen» – ihr Blick folgte Trueblood, der aufgestanden war, um ihr einen Drink zu holen –, «wenigstens sitzt er nicht den ganzen Tag in einem Riesenkasten von Haus und tut nichts, während andere sich krumm und bucklig schuften.»
    «Withers, altes Haus», sagte Trueblood und reichte ihr das frisch gefüllte Glas, «wir haben vor, eine Riesenfete in Harrogate steigen zu lassen. Mit Orchester und allem Drum und Dran. Abendkleidung erwünscht. Du könntest dein Chiffonkleid tragen, das zitronengelbe.»
    «Verpiß dich, Süßer», sagte Mrs. Withersby dankbar, bevor sie schlurfenden Schrittes abzog.
    Trueblood zuckte die Achseln, betrachtete seine tadellos manikürten Fingernägel und sagte: «Jetzt sagen Sie schon. Warum fahren Sie denn nun da rauf in diese gottverlassene Gegend? Sie verreisen zu Weihnachten doch sonst nie, sondern bleiben schön brav zu Hause und sitzen bei einem Glas Cockburn’s Port vor einem prasselnden Kaminfeuer. Und was wird die liebe Tante Agatha ohne ihre Weihnachtsgans anfangen?»
    «Wir könnten sie ja mitnehmen», sagte Vivian.
    Melrose ignorierte diesen Vorschlag. Wenn Vivian unbedingt so hirnrissig sein wollte …
     
     
    Wenn man vom Teufel spricht – plötzlich stand die in ein schwarzes Cape gehüllte Gestalt der lieben Tante in der Tür.
    «Agatha, altes Haus», sagte Marshall Trueblood und schob ihr mit seiner blankpolierten Schuhspitze den

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