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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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den Fingern durch sein glanzloses braunes Haar, als sei dies ein Test, den er unbedingt bestehen müsse. «Erinnerst du dich an diese Frau?»
    Die Antwort war ein gestottertes «J-j-jaa-a». Und er nickte mehrere Male heftig, sichtlich erfreut darüber, daß er sich an sie erinnern konnte.
    «Worüber hat sie mit dir gesprochen?»
    Robbie ließ seinen Blick durch den Raum wandern, nicht zielstrebig wie Nell Hornsby, sondern verlegen und ratlos wie jemand, der einer Aufgabe nicht gewachsen ist. Nach einer Weile versuchte Jury so sanft wie möglich seiner Erinnerung nachzuhelfen. «Ich möchte nur wissen, ob sie ihren Namen genannt hat. Oder ob sie gesagt hat, was sie hier wollte. Anscheinend kann keiner sich mehr an etwas erinnern.»
    Das erleichterte Robbie sichtlich. Er schaute hinunter auf den Videoschirm und sah zu, wie die bunten Monster vor Pac-Man davonflitzten.
    «Lust auf ein Spiel?» fragte Jury und fischte ein paar Münzen aus seiner Tasche.
    Robbie nickte. «I-ich b-bin nich be-besonders g-g-gut», sagte er verzagt.
    «Ich auch nicht.»
    Robbie jagte Jury kreuz und quer über das Spielfeld, fraß alle seine Monster auf und war gerade dabei, ihm endgültig den Garaus zu machen, als Hornsby von der Bar herüberrief, der Superintendent werde am Telefon verlangt.
     
    Kaum hörte er die Stimme des Deputy Assistant Commissioner Newsome am anderen Ende der Leitung, bereute Jury auch schon, daß er beim Northumbria-Revier hinterlassen hatte, wo er zu erreichen sei.
    Nicht daß er Newsome, einen entwaffnend wortkargen Mann, nicht gemocht hätte; es war dessen Mitteilung, die ihn ärgerte. «Schauen Sie, ich will Sie ja nicht kritisieren. Aber Racer schlägt Krach, weil Sie da oben eigentlich Ferien machen sollten, und jetzt ruft der Chief Constable des Distrikts bei uns an und fragt, warum Scotland Yard … Sie wissen schon, was ich meine.»
    «Ich habe das mit Cullen abgeklärt.»
    Er konnte sich plastisch vorstellen, wie Newsome bei der Antwort mit den Achseln zuckte. «Warum machen Sie dem Chief Superintendent nicht eine Freude und kommen zurück?»
    «Mein Anblick hat ihm noch nie große Freude bereitet. Okay. Ich wollte morgen sowieso noch London kommen. Ich werde einen Frühzug nehmen.» Hornsby, dem offenbar kein Wort entgangen war, während er ein und dasselbe Glas ein ums andere Mal polierte, verkündete, daß es um 8 Uhr 30 einen Schnellzug ab Newcastle gebe.
    Jury informierte Newsome, daß er den Zug um 8 Uhr 30 nehmen werde, und legte auf.
    Nell Hornsby spülte Gläser und beobachtete Robbie, der jetzt am Billardtisch eine einsame Partie Pool spielte. «Schrecklich traurige Sache mit dem Jungen. Mutter tot, Vater verduftet. Er war in der Bonaventura-Schule.»
    «Bonaventura?» Jury wandte sich nach Robbie um.
    «Ja, diese sogenannte Schule in Washington. ‹Waisenhaus› wäre treffender. Als er sechzehn wurde, schickten sie ihn fort. Das ist da so üblich. Die glauben anscheinend, daß Kinder ab sechzehn ihren Unterhalt selbst verdienen können. Ein Witz, wenn man bedenkt, daß in dieser Gegend nicht mal erwachsene Männer das schaffen.»
    «Wie heißt er? Robbie – und weiter?»
    «Robin Lyte.»
     
    Robbie schaute von dem zerschlissenen Grün des Billardtisches auf, als Jury mit zwei Gläsern Bier und einer Handvoll Zehnpencestücke zu ihm trat. «Ich spiel nicht besonders gut Pool.» Er wies mit dem Kinn auf das Videospiel. «Wie wär’s mit Pac-Man?»
    Der Junge versuchte mühsam, sich eine Antwort abzuringen. Er schloß die Augen, als könne der verbale Kontakt mit der Welt nur hergestellt werden, wenn der Blickkontakt unterbrochen war. Er wand sich geradezu unter der Anstrengung, ein Ja hervorzuwürgen und ein Danke hinzuzufügen.
    Sie spielten schweigend. Nur Robbies Kichern unterbrach dann und wann die Stille, wenn er gewann. Er gewann immer.
    Jury versuchte es nicht noch einmal mit dem Foto von Helen Minton. Die Erinnerung ließ sich nun mal nicht zwingen. Falls irgendeine nützliche Information im Gedächtnis des Jungen eingeschlossen sein sollte, würde Jury einen anderen Schlüssel finden müssen.
    «Du bist auf die Bonaventura-Schule gegangen, nicht wahr?» Robbies Gesicht war über den Videoschirm geneigt, wo die Monster darauf warteten, ein weiteres Zehnpencestück zu verschlingen. Er nickte. «Ich wette, da hat’s dir nicht besonders gefallen.» Der Junge schaute von dem kleinen Lichterlabyrinth auf und schüttelte den Kopf. In seinen Augen lag ein tiefer Schmerz, als könne die

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