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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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mit Silberknauf. «Wie ich sehe, haben Sie meinen Neffen bereits kennengelernt», sagte sie zu Melrose, indes ihr Blick liebevoll auf Tommy Whittaker ruhte. «Du kommst ein wenig spät, mein Lieber. Ich weiß ja, du mußt üben …» Dann wandte sie sich an Melrose und erklärte ihm, wie musikalisch ihr Neffe sei.
    In diesem Moment öffnete Marchbanks die Schiebetür und verkündete, das Dinner sei serviert. Er schien ein wenig ungehalten, denn erstens hatte das Dinner sich erheblich verzögert, und zweitens hatte er auch noch den Butler des Butlers spielen und sich um Ruthven kümmern müssen.
     
     
    Das Speisezimmer war mit Eichenholz vertäfelt, seine Sprossenfenster hatten blaßrote und amethystfarbene Scheiben. Im Zusammenspiel zwischen dem Licht der vielen Kerzen und den dunklen Tönen des Raums schien es, als läge eine feine Patina aus poliertem Kupfer auf dem gedeckten Tisch.
    Susan Assingtons Stimme wirkte wie ein Kratzer auf dieser schönen Oberfläche. «Ich finde», sagte Lady Assington plötzlich, als sie beim Dessert waren, «jetzt müßte ein Mord geschehen.»
    Ihr Blick wanderte über die Dinnertafel, auf der glänzendes Porzellan und funkelndes Kristall standen, Mittelpunkt einer eher trüben Unterhaltung.
    «Ich meine», erklärte sie und klopfte mit einem silbrig schimmernden Fingernagel an ihr Weinglas, «es paßt einfach alles zu gut.» Nachdem sie so zum erstenmal die Aufmerksamkeit der gesamten Gesellschaft auf sich gezogen hatte – und sie waren bereits beim Dessert –, wartete sie gespannt auf eine Reaktion.
    Da niemand sonst antwortete, fragte Melrose, der ihr gegenübersaß, höflich: «Warum denn das?»
    «Na ja, wir sitzen hier im kleinen Kreis und sind eingeschneit! Da könnten einem doch leicht die Nerven übergehen …»
    Übergehen? dachte Melrose. Stilsicherheit war offenbar nicht Lady Assingtons Stärke. Das galt auch für ihr Aussehen. Ihr dunkles Haar war zu einem Bubikopf im Stil der zwanziger Jahre geschnitten. Das Kleid hing ihr seltsam schief am Körper, als habe die Schneiderin bei der Arbeit plötzlich durchgedreht und unter Mißachtung aller menschlichen Proportionen mit Schere und Nadel drauflosgewütet. All das fiel Melrose auf, während sie fortfuhr, von Mord und Totschlag zu plappern, und dabei mit ihrem Löffel herumfuchtelte, an dem noch ein Rest Grand Marnier-Soufflé klebte, das wahrscheinlich in einer ebenso düsteren Küche wie ihre Gedanken zusammengerührt worden war. Das Soufflé war jedoch weitaus genießbarer.
    «… wir sind genau zwölf, oder? Da drängt sich einem ein Mord doch geradezu auf! Das ist genau wie in diesem Buch, wo die Leute auf einer Insel stranden und sich dann gegenseitig umbringen …»
    «Ach, ich erinnere mich. Die waren zwar nur zu zehnt, aber wir finden schon noch eine Leiche im Kaminschacht oder draußen im Treibhaus. Ringsherum natürlich keinerlei Fußspuren im Schnee …»
    MacQuade lachte und deutete hinter sich auf das Fenster. «Dabei muß ich an die verschneiten Moore da draußen denken – dunkle Fußspuren auf einer weiten verschneiten Ebene … ich liebe solche Symbole.»
    «Ich fürchte, ein Mord würde kaum Ihrem Sinn für Ästhetik entsprechen, Mr. MacQuade», griente Melro se. «Wie sollten denn diese hübschen dunklen Fußstapfen mitten ins Moor gekommen sein …»
    Lady Assington erschauerte. «Wollen Sie nicht mal das Thema wechseln?» Offenbar hatte sie bereits vergessen, daß sie es erst aufgebracht hatte. «Offen gesagt, ich lese eigentlich keine Krimis, Lord Ardry.» Nachdem sie so ihren literarischen Hochgeschmack ins rechte Licht gerückt hatte, sah sie beifallheischend in die Runde.
    «Ich schon», fiel ihr MacQuade in den Rücken. Er schwenkte den Wein in seinem Glas. «Ich hab sogar mal versucht, einen zu schreiben, aber es wurde nichts draus. Mir fehlt einfach die mörderische Ader. Und dann all die losen Enden, die man am Schluß verknüpfen muß …»
    Melrose dachte an seine Freundin Polly Praed, die Krimiautorin. «Manche Kriminalromane sind einfach wirklich gut. Übrigens müssen Sie mich nicht mit ‹Lord Ardry› anreden, Lady Assington. Ein schlichtes ‹Plant› genügt.»
    Doch damit war er an die Falsche geraten, wie er feststellen mußte, als er ihre Gazellenaugen verständnislos auf sich gerichtet sah. Wenn Susan Assington etwas liebte, dann waren das Adelstitel – sie hatte ja auch lange genug gebraucht, um selbst einen zu ergattern. Susan (geborene Breedlove, wie Melrose von Beatrice

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