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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Sleight erfahren hatte) war Verkäuferin in einer Boutique gewesen, bis eines Tages das große Geld hereinspaziert war. Lady Assington wäre eher gestorben, als auf ihren Titel zu verzichten.
    «Aber wenn Sie der Earl of Caverness sind – nun, dann ist die Anrede doch eindeutig ‹Lord›.» Ein Buch hatte sie mit Sicherheit Zeile für Zeile gelesen – den Debrett’s . «Ich verstehe nicht ganz …» sagte sie.
    «Wer tut das schon?» bellte Agatha von ihrem Tischende herüber. «Können Sie sich vorstellen, daß jemand darauf verzichtet, ein Earl zu sein? Aber Melrose war ja schon immer ein komischer Vogel.» Seufzend ließ sie sich von Marchbanks eine zweite Portion Grand Marnier-Soufflé auftun und machte Ruthven Zeichen, ihr Wein nachzuschenken. Plants Butler hatte die gnädige Erlaubnis erhalten, Marchbanks zu sekundieren – sehr zur Freude Agathas, die ihn als ihr persönliches Eigentum betrachtete.
    Melrose fragte sich, ob nun sein Passierschein, der ihm Zugang zu diesem illustren Kreis verschafft hatte, ungültig geworden war, denn alle wandten sich ihm zu und verlangten nach einer Erklärung für sein seltsames Verhalten. Nur MacQuade lächelte versonnen, und Vivian studierte betont eifrig die Zimmerdecke. Bea Sleight indessen beugte sich ihm so weit über den Tisch entgegen, daß ihr kammgespicktes Haar der Kerzenflamme gefährlich nahe kam. Die Rubinaugen des Drachen glitzerten.
    «Da gibt es nicht viel zu erklären», sagte Melrose. «Ich wollte den Titel nicht mehr. Und das Getue», fügte er hinzu.
    Tommy Whittaker mischte sich zum erstenmal ein. «Sie meinen, man kann einfach damit – aufhören ?» Es klang, als sei Melrose alkohol- oder drogenabhängig gewesen.
    «Natürlich. 1963 wurde ein Gesetz verabschiedet, das es erlaubt, einen Titel abzulegen. Es sei denn, man ist Ire. Dann muß man sein Kreuz auf Lebenszeit mit sich herumschleppen.»
    Beatrice Sleight beugte sich noch weiter vor, wohl um ihr Dekollete besser zur Geltung zu bringen. «Warum haben Sie es nun wirklich getan?» fragte sie in einem Ton, der unterstellte, daß Lord Ardry mit den wahren, verabscheuungswürdigen Gründen für die Aufgabe seines Titels noch hinter dem Berg hielt. Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus, als sie ihrem Groll gegen die gesamte Adelskaste die Zügel schießen ließ: «Waren Sie neidisch auf all die Privilegien, die uns gemeinen Sterblichen vorbehalten sind? Ich meine, wollten Sie wählen oder so was?»
    «Wählen? Ja wen denn bloß?»
    Parmenger lachte laut auf, Vivian senkte den Kopf und schmunzelte in ihre Dessertschale, und Susan Assington strich sich eine Strähne ihres glatten Haars aus dem Gesicht und schien die Frage gern beantworten zu wollen, hätte sie es nur gekonnt.
    Aber so leicht ließ Bea Sleight Melrose nicht davonkommen. In einem ihrer Bücher gab es auch einen Earl, der seinen Titel loswerden wollte. «Ihr macht alle den gleichen Fehler», sagte sie und schnippte Zigarettenasche auf den Adventskranz in der Mitte des Tisches. «Ihr geht augenzwinkernd über die Dekadenz des Adels hinweg.» Ihr Blick glitt von Melrose hinüber zu Tom Whittaker, Lady St. Leger und Sir George und heftete sich dann auf eine empörte Susan Assington.
    «Der Adel ist sicherlich auch nicht dekadenter als der Rest der Welt», sagte Charles Seaingham begütigend vom anderen Tischende, wo er neben Agatha saß. (Der Mann mußte Nerven wie Drahtseile haben.) Es ging das Gerücht, daß er demnächst geadelt werden sollte; ein Ritterschlag hätte allerdings nur ihn selbst getroffen – nicht auch noch seine arme Nachkommenschaft.
    «Nein? Dann schauen Sie sich mal Leute wie Lucan und Joslyn Erroll an.»
    Lady St. Leger sagte kühl: «Die sind wohl kaum repräsentativ für den Adel. Schwarze Schafe finden sich überall.»
    «Schwarze Schafe? Sie würden die beiden als schwarze Schafe bezeichnen? Ihr haltet alle zusammen, was? Da sagt keiner was, wenn einer von euch Kindermädchen ermordet oder nach Belieben auf seinen Mitmenschen herumtrampelt und …»
    «Ich glaube, wir können auf diese Aufzählung von Entgleisungen des Adels verzichten.»
    «Ich würde Errolls Verhalten kaum als bloße Entgleisung bezeichnen. Immerhin hat er …»
    Melrose versuchte, die Gemüter zu beruhigen, indem er ein oder zwei Geschichten über Adlige zum besten gab, die für ihre Verrücktheit ein weniger blutrünstiges Ventil gefunden hatten – weniger blutrünstig jedenfalls als die mörderischen Umtriebe eines Lord Lucan. «Ich mag den

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