Inspector Jury bricht das Eis
an. «Entschuldigung, ich verstehe nicht.»
«Ich habe gerüchteweise gehört, er soll zum Ritter geschlagen werden.»
Grace lächelte. «Ihre Königliche Hoheit hat sich meines Wissens noch nie als Malerin oder Autorin versucht; deshalb dürfte sie kein berufliches Interesse an der Meinung meines Mannes haben.»
Jury betrachtete sie amüsiert. Sie ließ sich nicht so leicht aufs Glatteis führen. «Ich meinte nur, daß jeder irgendeinen wunden Punkt hat. Und wenn man den Finger drauflegt – wer weiß, was dann passiert?»
Sie schwieg.
«Wie war MacQuades Verhältnis zu Beatrice Sleight?» fuhr Jury fort.
«Verhältnis? Von einem Verhältnis kann man da wohl kaum sprechen. Ich glaube nicht, daß er ihr vor unserer Party schon einmal begegnet ist. Bill ist ziemlich» – sie schien nach dem richtigen Wort zu suchen – «introvertiert.»
«Aha. Und die Assingtons? Kannten die sie vorher?»
«Höchstens ganz flüchtig. Es kann sein, daß sie ihr bei einer ihrer Signierstunden begegnet sind. Wie vermutlich jeder, der sich in Literatenkreisen bewegt – falls man Bea als Literatin bezeichnen kann», fügte sie wegwerfend hinzu. «Über die Assingtons weiß ich nicht viel mehr, als daß Sir George ein ziemlich bekannter Arzt und Susan seine dritte Frau ist.»
«Und die anderen – mal abgesehen von Mr. Plant und seiner Begleitung – sind vermutlich gute Freunde von Ihnen?»
«Ja. Charles hat Vivian Rivington auf einer kleinen Party ihres Verlegers kennengelernt. Ihre Gedichte haben großen Eindruck auf ihn gemacht. Als sie fragte, ob sie ein paar gute Freunde mitbringen dürfe, war er natürlich hocherfreut. Je voller das Haus, desto wohler fühlt sich Charles. Lady Ardry ist, soviel ich weiß, eine alte Freundin von Betsy – von Lady St. Leger.»
Jury schmunzelte. Er hatte da seine Zweifel.
«Betsy kennen wir seit Jahren. Noch aus der Zeit, bevor sie Meares Hall übernommen hat.»
«Übernommen?»
«Nun, als Tommys Eltern – Irene und Richard – starben, war Betsy die einzige, die sich um den Jungen kümmerte. Sie übernahm seine Erziehung und die Leitung von Meares Hall. Sie tat das beileibe nicht aus Geld- oder Prestigegründen. Das hätte sie gar nicht nötig. Die St. Legers haben einen Stammbaum, der so lang ist wie Ihr Arm. Betsy ist die Schwester von Tommys Großvater. Er war der elfte Marquis von Meares.»
«Eine alte Familie.»
Sie nickte. «Und Betsy ist ganz vernarrt in den Jungen. Sie hat keine eigenen Kinder. Ihr Mann, Rudy, ist vor ein paar Jahren gestorben. Er war auch Maler. Obgleich Freddie da wohl anderer Meinung wäre.»
«Wie lange ist denn Parmenger schon hier?»
«Seit mehreren Wochen. Ich habe mich von ihm porträtieren lassen, wie Sie sehen.» Sie errötete ein wenig, als fürchtete sie, daß Jury sie nun für eitel hielte. «Charles hat darauf bestanden.»
«Das Bild ist wundervoll.»
«Freddie hat als Künstler einen ziemlich guten Namen.»
«Kennen Sie irgend jemanden aus seiner Verwandtschaft?»
Sie schüttelte verwundert den Kopf. «Warum sollte ich? Außerdem spricht er nie über seine Familie.»
«Auch nicht über seine Cousine? Ihr Name war Helen Minton.»
Offensichtlich fand Grace Seaingham es ausgesprochen seltsam, daß Jury Parmengers Cousine kannte. «Nein, er hat nie etwas von einer Cousine erzählt. Sie sagten, ihr Name ‹war› Helen Minton. Ist sie gestorben?»
Jury bemerkte, daß er unbewußt Pater Rourkes Viereck in sein Notizbuch gezeichnet hatte. «Ja. Die Polizei fand sie vor zwei Tagen in Washington Old Hall. Sie wurde vergiftet.»
Grace Seaingham wurde so blaß wie ihr Morgenrock. Sie erhob sich langsam aus ihrem Sessel. Die Nachricht vom Tod dieser Fremden schien sie mehr aufzuwühlen als die Gefahr, in der sie möglicherweise schwebte. «Das ist ja schrecklich. Der arme Freddie … weiß er es schon?»
«Ja. Ich habe es ihm gesagt. Hat Mr. Parmenger Spinney Abbey während seines Aufenthalts irgendwann einmal verlassen?»
Sie runzelte die Stirn. «Natürlich ist er manchmal nach Newcastle oder Durham gefahren, wie wir alle, bevor wir einschneiten. Warum?»
«Ich habe mich gerade gefragt, ob er auch einmal in Washington war. Es ist ja nicht weit.»
«Sie meinen, um seine Cousine zu besuchen. Wenn er das getan hätte, hätte er uns doch sicherlich davon erzählt. Ich wäre auch über ihren Besuch sehr erfreut gewesen.»
Aber Frederick Parmenger vielleicht nicht, dachte Jury.
«E S HAT JA LANGE GEDAUERT , bis Sie endlich zu uns
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