Inspector Rebus 08 - Das Souvenir des Mörders
imitieren.
Thompson wandte sich zu Ancram. »Wir begleiten Mr. Zane in die Asservatenkammer, damit er sich noch einmal einige Beweisstücke ansehen kann.«
»Nicht nur ansehen«, korrigierte ihn Zane. »Ich muss sie berühren.«
Thompsons linkes Auge zuckte. Offensichtlich war er ebenso skeptisch wie Ancram. »Richtig, also, hier lang, Mr. Zane.«
Die drei Männer entfernten sich.
»Wer war der Schweigsame?«, fragte Rebus.
Ancram zuckte die Achseln. »Zanes Kindermädchen, er ist von der Zeitung. Die wollen bei allem dabei sein, was Zane tut und sagt.«
Rebus nickte. »Ich kenne ihn«, sagte er. »Beziehungsweise kannte ihn, vor Jahren.«
»Ich glaube, er heißt Stevens.«
»Jim Stevens«, sagte Rebus, noch immer nickend. »Übrigens, es gibt noch einen Unterschied zwischen den zwei Mördern.«
»Und zwar?«
»Bible Johns Opfer hatten alle ihre Regel.«
Man ließ Rebus allein an einem Schreibtisch mit dem vorhandenen Material über Joseph Toal. Viel mehr, als er inzwischen schon wusste, erfuhr er dadurch nicht - außer dass Uncle Joe Gerichtsgebäude selten von innen zu sehen bekam. Das gab Rebus zu denken. Toal schien immer zu wissen, wann die Polizei ihn oder seine Transaktionen unter Beobachtung stellte, wann die Kacke am Dampfen war. So kam es, dass die Beamten nie irgendwelche Beweise fanden oder auch nur Indizien, die eine Verhaftung gerechtfertigt hätten. Ein paar Geldstrafen, mehr war insgesamt nicht zusammengekommen. Man hatte mehrere Großoffensiven gestartet, aber sie waren alle im Sand verlaufen - sei es aus Mangel an Beweisen, sei es, weil die Überwachung aufflog. Als hätte Uncle Joe einen eigenen Hellseher gehabt. Aber Rebus wusste, dass es eine wahrscheinlichere Erklärung gab: Jemand vom CID lieferte dem Gangster Informationen. Rebus dachte an die schicken Anzüge, die hier jeder zu tragen schien, an die teuren Uhren und Schuhe, an die allgemeine Atmosphäre von Wohlstand und Überlegenheit.
Aber das war Westküstendreck - sollten die ihn doch selbst auf oder unter den Teppich kehren. Gegen Ende der Akte fand Rebus eine handschriftliche Notiz; er nahm an, dass sie von Ancram stammte: »Uncle Joe braucht keine Leute mehr umzubringen. Sein Ruf ist eine ausreichende Waffe, und der Dreckskerl wird immer mächtiger.«
Er fand ein gerade unbesetztes Telefon, rief das Barlinnie-Gefängnis an und vertrat sich dann, da von Chick Ancram nichts zu sehen war, ein bisschen die Beine. Die führten ihn, wie nicht anders erwartet, wieder in den modrig riechenden Raum, über den das alte Ungeheuer regierte, Bible John. In Glasgow redeten die Leute noch immer über ihn, und zwar nicht erst, seit Johnny Bible aufgetaucht war. Bible John war das Fleisch gewordene Märchenmonster, die Gruselgeschichte einer ganzen Generation. Er war der unheimliche Nachbar von nebenan; der unauffällige Mann, der zwei Treppen über einem wohnte; er war der Paketkurier mit dem fensterlosen Lieferwagen. Er war alles, was einem in den Kram passte. Anfang der Siebzigerjahre hatten Eltern ihren Kindern gesagt: »Wenn du nicht brav bist, holt dich Bible John!«
Das Fleisch gewordene Märchenmonster, das sich jetzt fortgepflanzt hatte.
Die Dienst tuenden Detectives schienen alle gleichzeitig beschlossen zu haben, sich eine Pause zu gönnen.
Rebus war allein im Zimmer. Er ließ die Tür offen, ohne selbst so recht zu wissen, warum, und versenkte sich in die Akten. Fünfzigtausend Aussagen waren aufgenommen worden. Rebus blätterte die Zeitungsausschnitte durch und las ein paar Schlagzeilen: »Der Dance-Hall-Don-Juan mit Blut an den Händen«; »Hundert Tage Jagd auf den Ladykiller«. Im ersten Jahr der Fahndung waren über fünftausend Verdächtige vernommen und ausgeschieden worden. Als die Schwester des dritten Opfers ihre detaillierte Aussage zu Protokoll gab, wusste die Polizei Folgendes über den Mörder: blaugraue Augen; Zähne ebenmäßig, außer oben rechts, wo sich einer vor seinen Nachbarn schob; seine bevorzugte Zigarettenmarke war Embassy; er erzählte von einem strengen Elternhaus, und er zitierte aus der Bibel. Aber da war es schon zu spät. Bible John war in der Versenkung verschwunden.
Ein weiterer Unterschied zwischen Bible John und Johnny Bible: die Intervalle zwischen den Morden. Johnny tötete alle paar Wochen, während Bible John keinem erkennbaren - nach Wochen oder selbst nach Monaten zu bemessenden - Rhythmus gefolgt war. Sein erstes Opfer hatte er sich im Februar 1968 geholt. Es folgte eine Pause von
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