Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
Lotterie und der EU. Andere Wohnsiedlungen hatten früher mit ähnlichen Anträgen bereits Erfolg gehabt und unterstützten Greenfield jetzt mit Rat und Tat. Die Greenfielder wollten etwas in der Größenordnung von zwei Millionen Pfund. Rebus lief es eiskalt über den Rücken, wenn er sich eine solche Summe in den Händen von Van und Cal Brady vorstellte.
Aber schließlich war das ja nicht sein Problem.
Sein vordringlichstes Problem war - wie ihm klar wurde, als er den Hörer abnahm - Cary Oakes.
Alan Archibalds Stimme. »Er ist einverstanden.«
»Womit einverstanden?«
»Mit mir nach Hillend rauszufahren. Einen Spaziergang durch die Hügel zu machen.«
»Hat er gestanden?«
»So gut wie.« Archibalds Stimme zitterte vor Erregung.
»Aber Konkretes hat er nicht gesagt?«
»Wenn wir erst mal da draußen sind, John, bringe ich ihn zum Reden - so oder so.«
»Sie wollen ihn foltern, ja?«
»So meine ich das nicht. Ich meine, wenn wir erst mal da sind, am Schauplatz des Verbrechens, wird er wohl zusammenbrechen.«
»Ich war mir da nicht so sicher. Was, wenn es eine Falle ist?«
»John, das haben wir alles schon etliche Male durchgekaut.«
»Ich weiß.« Rebus schwieg kurz. »Und trotzdem fahren Sie hin.«
Die Stimme war jetzt leise, ruhig. »Ich muss - was immer auch passieren mag.«
»Ja«, sagte Rebus. Natürlich würde Archibald da hinfahren. Es war sein Schicksal. »Schön, ich bin dabei.«
»Ich werde ihn fragen -«
»Nein, Alan, Sie werden es ihm sagen . Entweder wir beide, oder es läuft nicht.«
»Was, wenn er -«
»Er wird schon nicht. Vertrauen Sie mir. Ich glaube, ihm liegt selbst daran, mich auch dabeizuhaben.«
Das Band lief noch, aber Cary Oakes hatte seit ein paar Minuten nichts mehr gesagt. Jim Stevens kannte das mittlerweile, war an die langen Pausen gewöhnt, die Oakes sich nahm, um seine Gedanken zu sammeln. Er ließ weitere sechzig Sekunden Band durchlaufen, ehe er fragte: »Sonst noch etwas, Cary?«
Oakes machte ein überraschtes Gesicht. »Sollte noch was kommen?«
»Das war's also?« Das Band lief noch immer. Oakes nickte nur und verschränkte die Hände hinter dem Kopf: Job erledigt. Stevens sah auf seine Uhr, sprach die Uhrzeit ins Mikrofon, drückte dann auf die Stopptaste. Er steckte den Rekorder in die Brusttasche seines blasslilafarbenen Hemds. Blass war das Hemd deswegen, weil es in den fünf Jahren, seitdem Stevens es besaß, an die dreihundertmal gewaschen worden war. Stevens wusste, dass seine Reporterkollegen meinten, er habe in den letzten paar Jahren zugenommen. Das Hemd hätte sie leicht widerlegen können, gleichzeitig aber auch bewiesen, wie selten er sich neue Sachen anschaffte.
»Zufrieden?«, fragte Oakes und stand auf. Dann streckte er sich, als hätte er einen langen Tag in der Kohlengrube hinter sich.
»Nicht so richtig. Das sind wir Journalisten nie.«
»Wieso das?«
»Weil egal, wie viel man uns erzählt, wir wissen , dass man uns etwas vorenthält.«
Oakes breitete die Arme aus. »Ich habe Ihnen Blut gegeben, Jim. Ich fühl mich so, als hätten Sie eine Transfusion von mir bekommen.«
Wieder dieses entnervende, vollkommen freudlose Grinsen. Stevens schrieb Datum und Uhrzeit auf ein Klebeetikett, zog es von der Folie ab und pappte es auf eine Schmalseite der Kassettenbox. Nummer elf. Elf Stunden Cary Oakes. Es reichte nicht für ein Buch, aber einen Vertrag hätte er dafür schon bekommen können, und der Rest des Buches ließe sich mit Füllmaterial auspolstern:
Verhandlungsberichten, Interviews, Fotos.
Das Problem war bloß, dass er nicht ernsthaft damit rechnete, einen Verlag zu finden. Er würde es nicht einmal versuchen.
»Woran denken Sie, Boss?«, fragte Oakes. Er nannte Stevens neuerdings »Boss«. Stevens war nicht so naiv, das als Kompliment aufzufassen; bestenfalls war es ironisch gemeint.
»Ich... denke eigentlich gar nichts.« Stevens zuckte die Schultern.
»Nur, dass es erledigt ist, das ist alles.«
»Was bedeutet, dass heute für den alten Cary Zahltag ist.«
»Sie werden Ihren Scheck bekommen.«
»Was soll ich mit einem Scheck? Ich hatte Cash gesagt.«
Stevens schüttelte den Kopf. »Ein Scheck, muss sein, sonst würde unsere Buchhaltung einen Nervenzusammenbruch kriegen. Sie können ja damit ein Bankkonto eröffnen.«
»Und dann wie lange warten, bis der Wisch gutgeschrieben wird?« Oakes war im Zimmer auf und ab gegangen. Jetzt blieb er beim Sessel, auf dem Stevens saß, stehen, beugte sich zu ihm hinunter und starrte
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