Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
aufzubekommen und die Kassette heraus- und an sich zu nehmen. Den Rekorder ließ er liegen. In der Brieftasche befand sich nur wenig Geld, und die Kreditkarten wollte er weder benutzen noch sich mit ihnen erwischen lassen. Er beugte sich wieder hinunter und wischte den Rekorder an Stevens' Jackett ab: keine Fingerabdrücke hinterlassen.
Der Wind ging ihm durch und durch. Wenn er versucht hätte, die Leiche zu verstecken, wäre er am Ende an Unterkühlung gestorben. Er rannte zum Wagen zurück, stieg ein und fuhr los. Die Heizung gab einfach nicht mehr Hitze her. Seine Unterhose klebte des Blutes wegen am Sitz fest. Noch durfte er seine Kleider nicht wieder anziehen; die Sachen mussten sauber bleiben. Er konnte ja schlecht mit blutbefleckten Klamotten durch Edinburgh laufen.
Noch so ein Tipp aus dem Gefängnis. Vielleicht waren seine Mithäftlinge ja doch nicht so blöd gewesen.
Auf dem Weg zurück in die Stadt hielt er auf einem verlassenen Supermarktparkplatz und warf die Kassette in einen Mülleimer. Dann fuhr er los. Wusste, dass ihm wenigstens eine Nacht blieb, bevor man die Leiche finden würde. Eine Nacht, in der er es, dank Jim Stevens' Auto, wenigstens ein bisschen warm haben würde.
46
Alles, was im Westen passierte, war Sache von Torphichen, aber die Nachricht sprach sich schnell herum. Roy Frazer fuhr Rebus zum Tatort. Während der ganzen Fahrt sagte Rebus nur eines zu dem jungen Mann.
»Das mit Eddie Mearn haben Sie verbockt. Das kommt vor. Besser es passiert, solang man jung ist und noch daraus lernen kann. Andernfalls kriegt man leicht Unfehlbarkeitsallüren und wird zu dem, was die Kollegen so treffend als ›Klugscheißer‹ bezeichnen.«
»Ja, Sir«, sagte Frazer und runzelte dabei die Stirn, als wollte er diesen Kurzvortrag memorieren. Dann griff er in seine Tasche.
»Mitteilung von DS Clarke.« Er hielt ihm den Zettel hin. Rebus faltete ihn auseinander. Anfangs drangen die Worte nicht bis in sein Bewusstsein durch. Sein Gehirn war ohnehin schon restlos überlastet. Aber schließlich trafen sie ihn mit der Wucht eines elektrischen Schlags.
Ich hob ein bisschen nachgegraben. Joseph Margolies war nicht einfach nur Arzt. Er hat eine Zeit lang für die Stadt gearbeitet, hat sich speziell um Kinderheime gekümmert. Keine Ahnung, ob das was
zu bedeuten hat, aber es kam mir so vor, als hätten Sie ihn für einen
einfachen Internisten gehalten. Tschüs, S .
Er las die kurze Mitteilung ein halbes Dutzend Mal. Er wusste auch nicht, ob sie etwas zu bedeuten hatte. Aber ihm wurde klar, dass sich eindeutige Verbindungen abzuzeichnen begannen. Und Verbindungen waren dazu da, dass man sie nutzte...
Der DI aus Torphichen war Shug Davidson. Er lächelte flüchtig, als Rebus aus dem Auto stieg.
»Es heißt ja, dass der Täter immer zum Schauplatz des Verbrechens zurückkehrt.«
»Das ist nicht witzig, Shug.«
»Nach dem, was man so hört, waren Sie und der Verschiedene nicht gerade Busenfreunde.«
»Gegen Ende vielleicht schon«, sagte Rebus. »Hat man ihn schon weggebracht?«
Davidson schüttelte den Kopf. Auf der Baustelle ruhte die Arbeit. Gesichter schauten aus den Fenstern der Wohncontainer. Weitere Arbeiter schlenderten, Sicherheitshelm auf dem Kopf, draußen herum und tranken Tee aus ihren Thermosflaschen. Der Polier beschwerte sich, sie lägen schon jetzt zwei Wochen im Rückstand.
»Dann machen ein paar Stunden mehr den Kohl auch nicht fett«, entgegnete Davidson.
Rebus hatte sich unter das Absperrband geduckt. Das Opfer war für tot erklärt worden. Jetzt wurde die Leiche fotografiert. Die Spusi war mit ihrer Arbeit fertig. Uniformierte schwärmten vom Tatort aus und suchten nach weiteren Spuren. Davidson hatte die Situation voll im Griff.
»Irgendeine Idee?«
»Sogar eine ziemlich konkrete.«
»Oakes?« Rebus sah Davidson an, der ihn anlächelte. »Ich les auch Zeitung, John. Der Freund eines Freundes erzählt mir, Oakes hätte Stevens übel mitgespielt. Das Nächste, was passiert: Oakes ist auf der Flucht, nachdem er Alan Archibald angegriffen hat.« Er unterbrach sich. »Wie geht's ihm übrigens?«
»Auf jeden Fall besser als dem armen Kerl hier«, antwortete Rebus und trat näher an die Leiche heran. Professor Gates kauerte neben Stevens' Kopf. Er grüßte Rebus mit einem Nicken, fuhr dann aber gleich mit seiner vorläufigen Untersuchung fort. Eine Beamtin von der Spurensicherung hielt einen Klarsichtbeutel in der Hand, in den nach und nach der Inhalt von Jim Stevens' Taschen
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