Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
zuckte die Achseln, setzte sich wieder hin, die Arme auf die Tischkante gestützt. »Mehr kann ich nicht tun.«
»Und ich kann mich nur auf Ihr Wort verlassen, dass Sie es überhaupt tun würden.«
Rebus nickte langsam. »Ja, so ist es.«
Ince musterte seine Handrücken, seine Finger, die sich um die Tischkante krampften.
»Na, ich muss schon sagen, das ist ein sehr großzügiges Angebot.« Eine Spur von Belustigung in der Stimme.
»Es könnte Ihnen das Leben retten, Harold.«
»Oder auch keinen Pfifferling wert sein.« Er schwieg einen Moment.
»Was wollen Sie mich fragen?«
»Ich muss wissen, wer der dritte Mann war.«
»War das nicht Orson Welles?«
Rebus rang sich ein Lächeln ab. »Ich meine damals in der Nacht, als Ramsay Marshall Darren Rough nach Shiellion brachte.«
»Lange her. Damals habe ich noch getrunken.«
»Sie haben Darren die Augen verbunden.«
»Ach ja?«
»Wegen dieses anderen Mannes. Vielleicht war es überhaupt dessen Idee. Weil er nicht wollte, dass Darren ihn erkannte.« Rebus steckte sich eine weitere Zigarette an. »Sie haben damals getrunken. Vielleicht zusammen mit diesem Mann. Haben über dieses und jenes geplaudert. Und haben ihm am Ende Ihr Geheimnis verraten.« Rebus musterte Ince. »Weil Sie meinten, etwas zu erkennen...«
Ince leckte sich die Lippen. »Was?« So leise, dass es kaum mehr als ein Flüstern war. Rebus senkte ebenfalls die Stimme.
»Sie glaubten, er sei wie Sie. Sie sahen in ihm ein Potenzial . Je länger Sie miteinander redeten, desto deutlicher erkannten Sie es. Sie erzählten ihm, dass Marshall einen Jungen vorbeibringen würde. Vielleicht haben Sie ihn gefragt, ob er nicht bleiben wolle.«
»Das saugen Sie sich alles aus den Fingern, stimmt's?«
Rebus nickte. »Insofern als ich nichts davon beweisen kann, ja, sauge ich es mir aus den Fingern.«
»Dieses Potenzial, von dem Sie sprechen... Ich behaupte, dass es in jedem von uns steckt.« Jetzt sah Ince Rebus an, und seine Augen wirkten härter. Er wich Rebus' Blick nicht aus, erwiderte ihn.
»Haben Sie selbst Kinder, Inspector?«
»Ja, eine Tochter«, räumte Rebus ein, obwohl er wusste, wie gefährlich es war, Ince Zutritt in sein Privatleben, in seinen Kopf zu gewähren. Aber Ince war kein Cary Oakes. »Sie ist inzwischen erwachsen.«
»Ich wette, irgendwann im Lauf Ihrer Beziehung haben Sie sich ausgemalt, wie es wohl wäre, sie zu beschlafen, mit ihr ins Bett zu steigen. Habe ich Recht?«
Rebus spürte den Druck hinter seinen Augen: Wut und Abscheu. So stark, dass er den Rauch wegblinzelte.
»Ich glaube nicht.«
Ince grinste. »Das ist das, was Sie sich einreden. Aber ich glaube, Sie lügen, selbst wenn es Ihnen gar nicht bewusst ist. Das ist ein menschlicher Instinkt , nichts, wofür man sich schämen müsste. Sie war da vielleicht fünfzehn oder zwölf oder zehn.«
Rebus stand auf. Musste sich bewegen, andernfalls hätte er Ince' Kopf auf den Tisch geknallt. Er hätte sich am liebsten eine neue Zigarette angesteckt, war aber noch mit der alten zugange.
»Es geht hier nicht um mich«, sagte er. Das klang selbst in seinen eigenen Ohren ziemlich schwach.
»Nein? Na, vielleicht...«
»Es geht um Darren Rough.«
»Ah...« Ince lehnte sich zurück. »Der arme Darren. Der stand auf der Zeugenliste, ist aber dann nicht aufgerufen worden. Ich hätte ihn gern wieder gesehen.«
»War nicht gegangen. Jemand hat ihn ermordet.«
» Was? Vor dem Prozess?«
Rebus schüttelte den Kopf. »Während. Ich habe versucht, ein Motiv zu finden, aber jetzt glaube ich, dass ich die ganze Zeit an den falschen Stellen gesucht habe.« Er stützte sich mit einer Hand auf den Tisch, beugte sich über Ince. »Ich habe mir die polizeilichen Anklageblätter angesehen, die Zeugenaussagen. Überall nur Sie und Marshall; kein anderes Opfer erwähnt einen dritten Täter. War es nur in dieser einen Nacht? Jemand, der es nur das eine Mal ausprobiert hat...?« Rebus setzte sich wieder hin. Endlich war er mit seiner Zigarette fertig und steckte sich am Stummel die nächste an. »Ich hab Darren zufällig im Zoo gesehen und herausgefunden, wo er wohnte. Die Presse hat irgendwie davon Wind bekommen. Dieser dritte Mann... er wusste, dass Sie ihn während der Verhandlung nicht erwähnen würden. Ich weiß nicht warum, aber ich kann es mir denken. Wer ihm gefährlich werden konnte, war Darren. Aber da konnte er ruhig schlafen - soweit er wusste, war Darren Rough weitab vom Schuss. Dann liest er plötzlich, dass Darren in der
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