Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten

Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten

Titel: Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
Vom Netzwerk:
fluchtartig das Zimmer. Im Flur atmete er keuchend aus. Fünfundzwanzig Sekunden - nicht annähernd sein Rekord im Luftanhalten. Seine Mutter schmierte gerade am Küchentisch Brötchen. Sie gab ihm eins. Er goss sich einen Becher Milch ein und setzte sich. Er hatte seiner Mutter gesagt, wegen der Sparmaßnahmen würde die Schule erst um halb zehn anfangen. Entweder sie hatte ihm geglaubt, oder sie war nicht zum Streiten aufgelegt gewesen. Sie sah müde aus, seine Mum, so als könnte sie etwas Aufmunterung gebrauchen. Aber er wusste, dass der Schein manchmal trog: Sie konnte in zwei Sekunden von total kaputt auf rasende Bestie umschalten. Er hatte schon erlebt, wie das bei einer der alten Nutten vom Stock über ihnen passiert war, die angetanzt kam, um sich über den Krach zu beschweren. Genauso wie bei dem alten Knacker, der sich beklagte, weil der Ball in seinem Garten gelandet war.
    »Nächstes Mal stech ich mit der Gartenforke rein, das schwör ich Ihnen.«
    »Probieren Sie's nur«, hatte Jamies Mum gesagt, »und ich schnapp mir Ihre Scheißforke und stech sie Ihnen in die Eier!« Zwei Finger breit von ihm entfernt, immer riesiger wirkend, je mehr er in sich zusammenschrumpfte.
    Jamie hatte einen Heidenrespekt vor seiner Mum. Zuletzt hatte sie ihn vertrimmt, weil er sich erdreistet hatte, sie Van zu nennen. Cal nannte sie immer Van, aber das war okay, weil er erwachsen war, genau wie sie. Jamie konnte es nicht erwarten, erwachsen zu werden.
    Einen Becher Tee in der Hand, begann seine Mum das allmorgendliche Ritual: versuchte sich zu erinnern, wo sie ihre Zigaretten gelassen hatte.
    »Vielleicht hat Cal sie genommen«, schlug Jamie vor.
    »Red nicht mit vollem Mund.« Sie brüllte eine Frage in Richtung von Cals Zimmer, erntete dafür ein ebenso gebrülltes »Nein«. Im Wohnzimmer zog sie die Sitzpolster vom Sofa und den Sesseln, verpasste dem Stapel von Auto- und Musikzeitschriften, der auf dem Boden herumstand, einen Tritt. Fand eine halbe Schachtel oben auf der Stereoanlage. Der Klappdeckel der Schachtel fehlte. Den benutzte Cal immer für seine speziellen Selbstgedrehten. Seine Mum zog sich eine Zigarette heraus, aber der größte Teil der Tabakfüllung fehlte ebenfalls. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, steckte sich die Kippe trotzdem in den Mund und zündete sie mit dem Feuerzeug an, das sie in der Schachtel gefunden hatte.
    Sie hatte keine Taschen, also legte sie die Zigaretten auf die Armlehne ihres Sessels. Sie trug eine silbergraue Nylonhose und ein violettes Joggingoberteil mit Reißverschluss. Das Oberteil war alt, der Schriftzug auf dem Rücken -SPORTING NATION - rissig und schon teilweise abgeblättert. Jamie fragte sich, ob mit »Sporting Nation« Schottland gemeint sei.
    Als er mit Milch und Brötchen fertig war, rutschte er vom Sessel. Er wollte heute was unternehmen, vielleicht auf die Princes Street oder mit dem Bus raus zum GyleEinkaufszentrum. Allein oder mit wem auch immer. Das Problem mit dem Gyle war, dass es am Arsch der Welt lag. Auf der Lothian Road gab's eine Spielhalle, wo er ganz gern hinging, bloß hatte es da andere Stammgäste, die besser waren als er, und auch wenn er nicht gegen sie spielte, standen sie herum, sahen ihm zu und meinten, selbst mit eingegipsten Handgelenken würden sie mehr bringen als er.
    Ist auch gut so , hätte er ihnen sagen müssen, denn wenn ihr nicht aufpasst, liegt ihr bald von Kopf bis Fuß in Gips . Aber er sagte es dann doch nie. Die meisten von ihnen waren größer als er. Und sie kannten Cal nicht, so dass er nicht mit ihm drohen konnte. Was der Grund war, warum sich Jamie in dem Laden nicht mehr allzu oft blicken ließ.
    Cals Tür flog auf, und er kam in die Küche gestapft. Er hatte seine Jeans an, aber vergessen, den Reißverschluss hochzuziehen oder den Gürtel zuzumachen. Keine Schuhe oder Socken, kein T-Shirt. Er hatte Schrammen und blaue Flecken an Brust und Armen. Unter seiner Haut sah man die Muskeln zucken. Er knallte die Zeitung auf den Tisch und schlug mit der flachen Hand darauf.
    »Guckt euch das an«, zischte er mit zornrotem Gesicht. »Guckt euch das bloß an.«
    Jamie guckte: zweiseitiger Artikel. SEXTÄTER WOHNT MIT BLICK AUF SPIELPLATZ. Dazu Fotos. Eins zeigte ein Hochhaus, ein Pfeil deutete auf ein bestimmtes Stockwerk, das andere eine asphaltierte Fläche, auf der ein paar Kinder spielten.
    »Das ist ja hier«, sagte er verblüfft. Er hatte noch nie Greenfield in der Zeitung, noch nie überhaupt Fotos von der Siedlung gesehen.

Weitere Kostenlose Bücher